training und coaching
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wirtschaft + weiterbildung
04_2019
hübscht und man hat die Wichtigkeit von
Emotionen erkannt. Diese werden dann
über „Begeisterung“, „Sinn“ und „Spirit“
in Changeprojekten adressiert und ge-
nutzt. Aber macht es das besser, wenn
die erhoffte Begeisterung nicht lange vor-
hält und auf jeden Hype der Ausnüchte-
rungskater folgt, wenn der Honeymoon
der Agilität im Alltag der Mühen um Ko-
ordination verblasst? Wird da etwas nicht
bedacht? Die These hier ist, dass bei Ver-
änderungen sehr oft nicht nur die obigen
Fragen nach besserer Vernunft im Spiel
sind, sondern die Frage, ob das Selbstver-
ständnis derer, die zu diesem vernünfti-
gen Lernen kommen sollen, noch ange-
messen ist. Es geht also nicht primär um
die Frage „Erkenne, handle und fühle ich
richtig?“, sondern um die Fragen „Bin ich
(noch) richtig?“ oder „War ich bislang
falsch?“. Der Fokus liegt auf Identität,
nicht auf dem Tun!
Wenn das zutrifft, muss man sich über
Veränderungsresistenz und die Instabili-
tät guter Vorsätze nicht mehr wundern.
Hat ein Mensch oder ein soziales System
seine Antwort auf die Frage „Wer bin
ich/sind wir?“ gefunden, wird die damit
einhergehende Stabilität, Sicherheit und
Orientierung nicht mehr so schnell auf-
gegeben. Das ist auch sinnvoll, da ein
Wechsel im Grundmuster der Selbstor-
ganisation immer mit einer vorüberge-
henden Labilität verbunden ist, die die
normale Leistungsfähigkeit durchaus ein-
schränkt. Kein System gibt also so leicht
seine Identität auf. Wer sich nun – aus
welchen Gründen auch immer – mit dem
Neuen identifiziert hat (Gründer, Vertre-
ter von New Work ...), der tut sich leicht,
denen, die eine andere Identität haben,
zu sagen, sie müssen sich verändern. Wer
nur ein bisschen die Historie von sozialer
Schichtung in unserer Kultur kennt, weiß,
wie unmöglich bis schwer es war (und
zum Teil ist), dass ein „Bauer“ oder „Ar-
beiter“ sich im Stall der „oberen 10.000“
wohlfühlt und die Regeln wirklich kennt.
Was heißt das für Beratung? Es bedeutet,
dass sich Berater nicht um dieses Prob-
lem herumdrücken können. An Skills,
an Haltungen, an Gefühlen zu arbeiten,
macht Sinn, wenn der Schritt von einer
(alten) guten Identität zu einer (neuen)
guten als nötig angesehen wird. Dafür
gibt es ein ganz einfaches Erkennungs-
merkmal: Leidensdruck! Der Mensch,
der sich bessere Kommunikationsfertig-
keiten antrainiert, um mehr Eindruck
zu machen, bleibt ein Mensch, der Ein-
druck machen möchte. Ein Team, das
agile Arbeitsmethoden lernt und seine
Sicherheit seit 15 Jahren über Anweisun-
gen der Hierarchie findet, bleibt auf der
Ebene seines Selbstverständnisses und
damit seiner Selbstorganisation das glei-
che Team. Sobald Stress entsteht, greifen
die alten Muster. Eine Organisation, die
über die Optimierung lokaler Kompetenz
(= Silos) erfolgreich war, kann zwar die
Hierarchie formal abschaffen und sie aber
dennoch weiter pflegen. Wenn also Be-
rater die Ebene der Identität beachten,
dann helfen sie zunächst dem Kunden,
Leidensdruck aus der Gegenwart heraus
wahrzunehmen.
Verhaltensweisen, die die Zukunft er-
möglichen sollen (=Vorsätze), ohne
Leidensdruck auf der Identitätsebene,
sind immer instabil und wenig oder gar
nicht krisenresistent. Das heißt nicht,
dass man nicht Neues im Verhalten aus-
probieren kann, um dann zu sehen, dass
man mit dem Alten nicht mehr zufrieden
ist. Der Schritt, die alte Identität loszu-
lassen, bleibt aber notwendig. Und das
geht nie ohne Trauer, ohne Schmerz und
ohne Angst. Das ist aus dieser Sicht der
Grund, warum so viele Veränderungsvor-
haben scheitern. Wer glaubt, dass Verän-
derung nur schön und angenehm ist, wer
verspricht, dass die Firma besser, bunter,
gerechter, erfolgreicher und lebenswerter
wird, der kalkuliert verhängnisvoller-
weise nicht mit den bestehenden Kräften
beim Kunden, die weiter daran festhalten
werden, dass sie so, wie sie waren und
sind, gut waren. Auch und gerade dann,
wenn es beim Kunden auch Kräfte gibt,
die schon ahnen, dass das alte „Ich“ in
der Zukunft Probleme bekommen wird.
Aber das zukünftige Leiden stellt nie
die gegenwärtige Identität infrage. Dazu
braucht es Leiden in der Gegenwart. Und
um Leiden zu können, braucht es innere
Stabilität, die vom Berater nicht vorausge-
setzt werden darf. Wenn Personen, Teams
oder Organisationen feststellen, dass
ihre gegenwärtige Identität nicht mehr
(ganz) so stimmt, entsteht Druck, Neues
zu lernen. Es entsteht dabei aber eben
immer auch die Frage, ob „man selbst“
denn richtig ist, wenn man falsches Wis-
sen hatte („Wie konnten wir uns nur so
irren?“). Personen, Teams und Organisa-
tionen, die in sich schon labil sind, zeich-
nen sich oft dadurch aus, dass sie auf
Meinungen beharren, Bestehendes aufs
Letzte verteidigen, unflexibel sind und
Sturheit kultivieren. Das liegt dann aber
nicht daran, dass die Argumente für das
Neue zu schwach wären, sondern dass
die betroffenen Systeme auf der Identi-
tätsebene zu fragil sind, um zu lernen.
Es ist zu selbstwertgefährdend, zu be-
standsgefährdend, zu beziehungsgefähr-
dend, zu rufgefährdend, zu markenge-
fährdend, zu stellengefährdend, zu struk-
turgefährdend oder anderes mehr. Aus
diesem Grund ist es oft so sinnlos, Argu-
mente für das Neue immer und immer
wieder ins Spiel zu bringen, wenn man
ahnen kann, dass der andere nicht gegen
das Neue ist, sondern nicht weiß, wer er
ist, wenn das Alte nicht mehr gilt. Hier
braucht es einen Ebenenwechsel, der es
ermöglicht, die Identitätsthemen zu bear-
beiten. Sonst wird das Alte zur „Vergeb-
lichkeitsfront“!
Klaus Eidenschink
Hinweis:
Die restlichen fünf Punkte, die
zu diesem Artikel gehören, lesen Sie im
nächsten Heft. Eidenschink & Partner
haben ihr integratives Beratungskonzept,
die „Metatheorie der Veränderung“, und
weitere Grundlagentexte veröffentlicht
Klaus
Eidenschink
ist Organisati-
onsberater und
Senior Coach im
Deutschen Bundesverband Coaching
e. V. (DBVC). Er ist Leiter von „Hephais-
tos, Coaching-Zentrum München“ und
arbeitet an einer umfassenden Verän-
derungstheorie von psychischen und
sozialen Systemen.
Eidenschink & Partner
Lärchenstr. 24, D-82152 Krailling
Tel. +49 89 85662246
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