training und coaching
42
wirtschaft + weiterbildung
04_2019
Berater beauftragen. Die Kunst ist daher,
dass man die Anliegen hinter den Kun-
denkriterien erkennen kann. Dann kann
man auf die Bedürfnisse der Kunden
eingehen, ohne ihre problematischen
und ungünstigen Ziele oder Zwecke zu
bedienen. Zu Marketingzwecken kann
Beratung so gesehen schlicht auf Selbst-
aussagen und Selbstbeschreibungen set-
zen, was man tut und was man vor allem
nicht tut! Beratung, die dem Kunden Er-
folge verspricht, wird gern genommen
und verrät sich selbst.
2 Eins, Zwei oder Drei?
Berater müssen sich
entscheiden
Manche Beratungsschulen setzen auf die
„Eins“: Es gibt nur den Kunden und man
versucht ihm zu helfen, sich zu verän-
dern. Die Berater selbst kommen nicht
weiter in die Reflexion, es sei denn, sie
verstehen nichts von ihrer eigenen Sache.
Denn sie reparieren oder verbessern den/
die Kunden mit den Tools, die sie haben
und im Hinblick auf die Zielzustände, die
sie für richtig halten. Und als Reparateur
müssen sie wirklich gut darin sein, den
Kunden zu überzeugen und sich selbst
auch.
Andere setzen auf die „Zwei“: Es gibt den
Kunden und es gibt die Berater. Beides ist
wichtig und wird reflektiert. Man arbei-
tet im Dialog. Wie reagieren wir (Berater)
auf den Kunden, was sagt und hilft uns
das bei der Auswahl von Interventionen
und beim Verstehen der Verhältnisse?
Das führt wesentlich weiter, weil der Be-
rater so sehr viel spezifischer arbeiten
kann und die eigenen Resonanzen auf
das System nutzen kann, die impliziten
Informationen über den Kunden zu regis-
trieren und schließlich in Interventionen
zu überführen.
Wir schlagen vor, besser auf die „Drei“
zu setzen: Berater, Kunde und Beratungs-
system. Coach, Klient und Coaching-
beziehung. Teamentwickler, Team und
Workshopdynamik. Geht man von der
„Drei“ (Systemen) aus, dann wird es
anspruchsvoll. Beratungssystem, Coa-
chingbeziehung, Workshopdynamik sind
fragil, auf Zeit geschmiedet und müssen
ständig nachjustiert und erhalten wer-
den. Dieses dritte System ist ein reines
Kommunikationssystem, hat also keine
„materielle“ Substanz. Wodurch ist es
definiert? Es dient ausschließlich den Ver-
änderungswünschen des Kunden! Es geht
als nicht um die Berater, nicht um deren
Intentionen und erst recht nicht um deren
Wunsch nach einem Folgeauftrag! Es geht
darum, die wechselseitige Bezogenheit zu
nutzen, um zu verstehen,
• was der Kunde für abstellungswürdig,
falsch oder schädlich befindet (Vergan-
genheitsbezug),
• was der Kunde für normal, gegeben
oder selbstverständlich hält (Gegen-
wartsbezug) und
• was der Kunde als erstrebenswert, Er-
folg versprechend oder strategisch not-
wendig ansieht (Zukunftsbezug).
In all diesen Bereichen wird dann ge-
meinsam nach unbewussten, latenten,
impliziten Prozessen gesucht, die sich
auf einen der folgenden Punkte beziehen:
Welche Kräfte, Akteure, Muster, Sche-
mata, Strukturen, Personen sind dafür
verantwortlich, dass die gegenwärtig
vorliegende Situation erzeugt werden?
Keine Situation liegt einfach vor, sondern
wird in irgendeiner Weise erzeugt. Ohne
gemeinsames Herausarbeiten und Verste-
hen dieser Faktoren neigen Beratungs-
prozesse von einem gegebenen „Defizit“
auszugehen und arbeiten dann an der
„Veränderung“. Der Sinn der Stagnation
bleibt außen vor und der Berater verbün-
det sich mit den Verbesserungsimpulsen
beim Kunden.
Welche Abwertungen nutzt der Kunde
sich selbst gegenüber? „Das mache
ich immer falsch, obwohl ich es besser
weiß!“, „Das kriegen wir hier im Team
einfach nicht auf die Reihe!“, „Wir
müssen den Vertrieb dringend auf Vor-
dermann bringen!“ Mit solchen oder
vergleichbaren Aussagen lässt sich un-
mittelbar verstehen, welche Kräfte beim
Kunden gegeneinander wirken. Der Be-
rater muss immer beide Kräfte als Auf-
traggeber verstehen, sonst entsteht beim
Kunden im Verhältnis zum Berater nicht
nur ein Beratungssystem, sondern auch
ein Widerstandssystem.
Welche Ziele hat der Kunde avisiert, ohne
zu wissen, ob diese nicht möglicherweise
dysfunktional sind und die Lage zu ver-
schlimmbessern drohen? Was der Kunde
für erstrebenswert hält, ist für Beratung
ebenso wichtig kritisch mit ihm zu be-
leuchten wie das, was er für problema-
tisch hält. Selbstverbesserungsintenti-
onen sind sehr häufig ein ungünstiger
Ausgangspunkt für Beratungen. Welche
Kräfte stehen einer angestrebten (funk-
tionalen) Veränderung im Wege? Dieser
Punkt ist der geläufigste und wird in den
meisten Beratungsschulen in den Fokus
genommen – zu eng als Blickwinkel, um
dem Kunden im Ganzen gerecht zu wer-
den.
Der Berater stellt dem Kunden in dem
gemeinsam gestalteten „Beratungssys-
tem“ alle Beobachtungen, die sich auf
einen oder mehrere der obigen Punkte
beziehen, zur Verfügung. Auch das ist
anspruchsvoll, da niemand sich leichttut,
latente und implizite Vorgänge bei sich,
im Team oder in der Organisation in Au-
genschein zu nehmen. Da braucht es auf
allen Seiten Vertrauen und Wohlwollen.
Nur zusammen mit dem Kunden lässt
sich nämlich auswerten, welche Bedeu-
tung die Beobachtungen von Beratern
haben. Daraus ergibt sich unmittelbar,
dass kein Berater für jeden Kunden der
Richtige sein kann. Das muss immer erst
durch die Bildung einer belastbaren Be-
ratungsbeziehung mit dem Kunden veri-
fiziert werden. Denn ohne die „Drei“ hat
die „Zwei“ bei der „Eins“ Hopfen und
Malz verloren. Kein Coaching gleicht
dann dem anderen, keinen Workshop
kann man zweimal gleich machen und
kein Organisationsberatungsprojekt ist
wie das andere.
3 Seh ich was, was Du nicht
siehst?
Menschen wie Teams wie Organisationen
verändern sich – unter anderem – durch
einen anderen Aufmerksamkeitsfokus.
Wer sieht, dass er nicht sieht, was er
(bislang) nicht sieht, fängt an, sich zu
verändern. Aus diesem Gedanken folgt
recht unmittelbar, dass Beratung dem
Kunden Beobachtungen anbieten muss,
die die Aufmerksamkeit des Kunden ver-
ändern. Partielle Blindheit nennt man all-
tagssprachlich Selbstverständlichkeiten.
„Das ist so, muss so sein, ist so richtig,
geht nicht anders!“ oder „Da wollen wir
hin, das Ziel ist ohne Alternative, wir
müssen das machen!“ Solche Selbstver-
R