training und coaching
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wirtschaft + weiterbildung
04_2019
beim ersten Termin. Meine Kollegin und
ich wissen wenig über Anlass und Ziel-
setzung des Projekts. Das ist so gewollt
und mehr soll uns im Termin selbst offen-
bart werden. Dort sollen wir dann erste
Ideen über Vorgehensweisen „spontan“
äußern. Unter der Hand erzählt uns die
HR-Verantwortliche, dass der Vorstand
dies als „Test“ ansieht, ob die Berater
auch wirklich was taugen und man sehen
will, wie sehr wir dabei „ins Schwitzen“
kommen. Allein dieses Setting und das
Ansinnen lässt uns auf der professionel-
len Ebene neugierig werden und auf der
persönlichen entsteht eine wahrnehm-
bare Anspannung.
Der Termin beginnt mit einer freundli-
chen Begrüßung durch HR in einem Mee-
tingraum, der nur vom Vorstand benutzt
werden darf. Er ist ausstaffiert mit vielen
Fotos von Trophäen und Auszeichnun-
gen der Vorstandsmitglieder überall auf
der Welt. Subtil macht sich eine gewisse
Einschüchterung in uns breit, über die
wir uns beim Warten kurz leise austau-
schen. Die drei Vorstände kommen mit
etwas Verspätung und setzen sich in
Phalanx nebeneinander. Der Sprecher
des Vorstands berichtet davon, wie gut
das Unternehmen dasteht, und benennt
als Gründe für das Projekt die hohe Fluk-
tuation in der ersten Führungsebene
und die immense Rückdelegation von
Entscheidungen dieser 17 Bereichsleiter
in den Vorstand. Daran soll sich etwas
ändern. Die Skizzierung der Lage endet
mit dem Satz: „Was haben Sie uns da
anzubieten?“ Meine Kollegin antwortet
freundlich und klar: „Das, was wir Ihnen
anbieten, ist unsere Angst!“. Wir blicken
in erstaunte und verwirrte Gesichter. Sie
fährt fort: „Wenn Sie Ihre Bereichsleiter
auch nur ein klein wenig so behandeln
wie uns im Vorfeld dieses Termins und
jetzt im kurzen Briefing, dann müssen Sie
sich über keines der von Ihnen monier-
ten Verhaltensweisen Ihrer Bereichsleiter
wundern. Ihre Kernkompetenz scheint es
zu sein, andere einzuschüchtern, zu ver-
unsichern und unter Druck zu setzen. Sie
verbreiten Angst. Und unter Angst ver-
lassen Personen, die Alternativen haben,
die Firma und die, die bleiben, werden
vorsichtig und versuchen, sich rückzuver-
sichern, ob die Entscheidungen so sind,
dass Sie damit zufrieden sind. Daher ist
das, was Sie von uns kriegen können und
im Moment auch schon kriegen, dass wir
Ihre eigenen Anteile am Herstellen des
Problems so klar benennen, dass nicht
nur die anderen, sondern eben auch Sie
selbst sich mit Ihren Ängsten auseinan-
dersetzen müssen. Wir vermuten, dass
Sie das nicht wollen, und rechnen daher
damit, dass Sie sich ärgern und wir unse-
rerseits die Variante wählen werden müs-
sen, das Unternehmen schnell wieder zu
verlassen.“ So weit die Fallschilderung.
Zugegebenermaßen ist das nicht so häu-
fig, aber auch nicht die Ausnahme.
Die Resonanz auf das, was der Kunde
tut und wie er etwas sagt, welche Atmo-
sphäre er erzeugt, wie er das Kennenler-
nen und die Auftragsgestaltung gestaltet
und Ahnliches liefert für Berater die we-
sentlichen Informationen. Das „Wie“,
nicht das „Was“ ist entscheidend, um
wirklich zu verstehen, wie der Kunde
die unerwünschten Verhältnisse erzeugt,
unter denen er (auch) leidet. Da Stabili-
tät von Verhältnissen in Organisationen
immer damit einhergeht, dass über be-
stimmte Wahrnehmungen nicht gespro-
chen wird, gilt es für Berater, ganz genau
darauf zu achten, worüber sie selbst nur
unter vorgehaltener Hand nach dem Ter-
min untereinander sprechen wollen. Ei-
gene Ängste, Schamgefühle, Ärger, Wut,
Rebellions- oder Anpassungsimpulse, Ab-
wertungen, Bewunderung, innerer Druck,
Es-gut-machen-wollen, Unsicherheiten,
Konkurrenz- oder Dominanzbestrebun-
gen, Belehrungswünsche, Rückzugswün-
sche oder Genervtsein sind das wichtigste
Material, um es dem Kunden zur Verfü-
gung zu stellen. Selbstverständlich nicht
immer gleich im Erstkontakt und meist
anders dosiert als im obigen Beispiel,
aber vom Prinzip her nicht anders.
R
Resonanz auf den Kunden.
Berater sollten genau
beobachten, „wie“ ein Chef
die Probleme mitverursacht,
die er beklagt – indem er bei
Pannen zum Beispiel nur dem
Mitarbeiter oder nur sich selbst
Vorwürfe macht.
Foto: mauritius images / Cultura