training und coaching
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wirtschaft + weiterbildung
05_2018
Jeder Mensch verfügt grundsätzlich über
die Fähigkeit, Menschen, Situationen
und Konstellationen intuitiv richtig ein-
zuschätzen. Sie ist nur verschieden stark
ausgeprägt. Und: Diese Fähigkeit lässt
sich trainieren. Denn inwieweit wir in der
Lage sind, Personen und Situationen rich-
tig wahrzunehmen und einzuschätzen,
hängt auch von unserem Vorwissen und
unserer Erfahrung ab.
So nimmt zum Beispiel ein routinierter
Autofahrer brenzlige Verkehrssituationen
meist eher wahr als eine Person, die ge-
rade den Führerschein gemacht hat. Letz-
tere hat zwar auch oft das Gefühl „Huch,
das wird gefährlich“. Dieses Gefühl resul-
tiert aber häufig aus Unsicherheit – also
eben gerade daraus, dass sie die Situation
noch nicht einschätzen kann. Ebenso
spürt eine Mutter oft sofort, wenn ihr
Kind zum Beispiel von der Schule nach
Hause kommt: Da ist heute etwas vorge-
fallen. Ein Fremder registriert dies nicht.
Intuition ist Erfahrung
Ähnlich ist es in unserem Arbeitsbereich.
Ein erfahrener Verkäufer spürt, wenn er
einem Kunden gegenübersteht, meist in-
tuitiv, ob er von diesem an diesem Tag
einen Auftrag erhält. So ist es auch häufig
bei Technikern, die schon seit Jahren be-
stimmte Maschinen warten. Sie müssen
zuweilen eine Maschine scheinbar nur
anschauen und schon wissen sie, warum
diese nicht funktioniert.
Doch wie können wir unser Gespür für
Menschen, Situationen und Konstellatio-
nen trainieren? Eine Voraussetzung hier-
für ist: Wir müssen zunächst akzeptieren,
dass Emotionen und unser Unterbewusst-
sein viel stärker unser Verhalten bestim-
men, als wir dies gemeinhin vermuten.
Eine weitere Voraussetzung ist: Wir müs-
sen grundsätzlich bereit sein, auf unser
Bauchgefühl zu hören.
Intuition im Alltag trainieren
Wenn dies der Fall ist, können Sie selbst
zahllose Übungen zum Schulen Ihres
Bauchgefühls, also Ihrer unbewussten
Wahrnehmung, erfinden. Einige Bei-
spiele: Angenommen, Sie warten mit vie-
len Menschen auf einen Fahrstuhl. Dann
können Sie sich, bevor sich die Tür öffnet,
fragen: Welche Personen werden wohl als
erste den Fahrstuhl betreten? Oder Sie
sind in einem Meeting. Dann können
Sie sich fragen: Wann wird mein Kollege
Mayer das Wort ergreifen und was wird
er sagen? Oder Sie sind auf einer Party.
Dann können Sie sich fragen: Welche
Personen werden in einer Stunde zu-
sammenstehen und intensiv miteinander
schwatzen oder flirten?
Wenn Sie sich solche Aufgaben regel-
mäßig stellen, merken Sie nach einiger
Zeit: Ihre Prognosen sind häufiger richtig.
Denn durch solche Übungen lernen Sie,
Personen und Situationen intuitiv rich-
tig wahrzunehmen und einzuschätzen.
Wichtig zum Schulen Ihrer Intuition ist
auch die Selbstreflexion. Fragen Sie sich
zum Beispiel jeden Abend: Welche Ent-
scheidungen traf ich heute weitgehend in-
tuitiv? Sie werden merken: Es sind mehr,
als Sie vermuten. Fragen Sie sich dann,
ob diese richtig oder falsch waren. Und
überlegen Sie sich anschließend, welches
Gefühl Sie hatten, als Sie sich von Ihrer
Intuition leiten ließen. Verspürten Sie
Unsere Intuition ist eine wichtige Orien-
tierungshilfe – zum Beispiel, wenn es da-
rauf ankommt ...
• zwischen mehreren scheinbar gleich
guten Alternativen zu wählen. Vor die-
ser Herausforderung stehen (Personal-)
Manager beim Besetzen von vakanten
Stellen oft.
• eine Entscheidung zu treffen trotz „un-
genügender“ Information. Vor dieser
Herausforderung stehen wir in der von
rascher Veränderung und sinkender
Planbarkeit geprägten modernen Ar-
beitswelt immer öfter.
• das passende Timing zu wählen. Vor
dieser Entscheidung stehen wir zum
Beispiel, wenn wir einem Kollegen oder
unserem Partner gerne sagen möch-
ten, was uns an ihm stört oder was
wir uns von ihm wünschen. Dann ist
das Timing meist entscheidend dafür,
auf welche Resonanz unsere Initiative
stößt.
• andere Personen und ihre Stimmung
rasch einzuschätzen. Vor dieser He-
rausforderung stehen zum Beispiel
Verkäufer im Kundenkontakt oft. Dann
müssen sie häufig in Sekundenbruch-
teilen entscheiden, wie „tickt“ mein
Gegenüber oder wie ist er gerade drauf,
um die richtige Kundenansprache zu
wählen.
• für ein Problem eine ganz neue Lösung
zu finden. Dann kommen wir meist mit
unserer gewohnten Art, Probleme an-
zugehen, nicht weit. Wir brauchen eine
„zündende Idee“, wie wir das Problem
eventuell ganz anders lösen könnten.
Viele Menschen sind überzeugt: Den
„sechsten Sinn“ hat man oder nicht.
Doch wissenschaftliche Studien belegen:
Auf die Intuition vertrauen –
aber nicht immer!
PSYCHOLOGIE.
Rasche Veränderungen und sinkendende Planbarkeit prägen unsere
Arbeitswelt. Bei vielen Entscheidungen fehlen oft wichtige Informationen. Wir müssen
unserer Intuition vertrauen. Also sollten wir sie trainieren, fordert Sabine Prohaska,
Seminar Consult Prohaska, Wien, in diesem Fachbeitrag