messen und kongresse
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wirtschaft + weiterbildung
05_2018
wird dort mit 70 angegeben. Petsch selbst
sprach von etwas mehr als 40, wobei
auch ausgelegte Zeitschriften offenbar als
Aussteller zählten. Trotz offenkundiger
Zahlenakrobatik und Dumpingpreisen
war die Talentpro durchaus ein Erfolg.
Es sei schon sinnvoll, eine eigene Messe
zum Thema Rekrutierung anzubieten,
sagte der Manager einer ausstellenden
Jobbörse. Er habe einige interessante Ge-
spräche geführt, aber auch junge Recrui-
ter mit großem Ego und geringer Ahnung
erlebt. Der – nicht repräsentative – Blick
auf die Namensschilder der Besucher
zeigte auffallend viele junge Mitarbeiter
von Personaldienstleistern oder Start-ups.
Wer es bis in die Nähe einer der Vortrags-
bühnen schaffte, konnte so mancher inte-
ressanten Präsentation lauschen.
Oscar Mager, Gründer eines Online-Mat-
ratzenhandels und „Global Talent Acqui-
sition Specialist“ aus den Niederlanden,
gab einen Einblick in „Visual Sourcing“,
also wie man anhand eines Fotos im Web
mit den richtigen Klicks vielfältige Daten
zu der abgebildeten Person und damit
vielleicht einem potenziellen Talent fin-
den kann. Eine besonders gute Quelle
seien Events, so Mager. Da brauche
man nur das Foto ausschneiden und bei
Google Image suchen.
Offenbar müssen Recruiter heute eher
wie Privatdetektive agieren, wobei es
bei etlichen Vorträgen um das Aufspüren
der besonders raren IT-Experten ging. So
referierte Nadine Zimmermann, Senior
Recruiterin bei Shopgate, zum Thema:
„Forks, Stars, Badges, WTF?! – Sourcing
on Stack Overflow and GitHub“ und er-
zählte, wie sie in diesen Communities IT-
Experten aufspürt und sie dann „ein biss-
chen wie ein Stalker“ mit individueller
Ansprache für einen Job bei Shopgate zu
begeistern versucht. Gabor Toldi, CEO der
im Internet nicht auffindbaren Firma DTC
Solution Ltd., berichtete von einem Robo-
ter, der in Russland bereits eine Million
Bewerberinterviews geführt habe, indem
er automatisch die in der Bewerbung ge-
nannte Mobilnummer anruft. Und bei der
Telekom in Ungarn müssten Bewerber
nur ein paar Punkte auf dem Smartphone
verbinden, woraus ein Persönlichkeits-
profil errechnet werde. Dann gebe es
noch ein dreiminütiges Skype-Interview.
Das reiche für die Personalauswahl.
Eine Karrierewebsite sollte
schnell geladen sein
Geschwindigkeit sei alles, betonte Sascha
Krause von Google Deutschland. Eine
Karrierewebsite müsse in drei Sekunden
geladen sein. „Bei neun Sekunden verliert
man bereits ein Drittel der Bewerber“, so
Die Schlange war mehr als hundert Meter
lang und reichte bis zur nächsten Stra-
ßenkreuzung. Nur langsam rückten die
überwiegend jungen Menschen bis zum
Eingang in den alten Postpalast in Mün-
chen vor. Drinnen ging es dann weiter:
Lange Schlangen vor der Garderobe.
Menschenmassen, die sich um die Vor-
tragsbühnen drängten, auf dem Fußbo-
den lagerten und die benachbarten Gänge
blockierten. Auch der „Recruiter Salon“,
ein langer, schmaler Raum mit ein paar
Sitzhockern, platzte aus allen Nähten.
„Das wird knackig voll“, hatte Alexander
Petsch, Chief Enabling Officer der Talent-
pro, bereits zu Beginn des ersten „Ex-
pofestivals für Lösungen im Recruiting,
Talent Management und Employer Bran-
ding“ prophezeit. 1.400 Tickets habe man
ausgestellt und etliche Interessenten ab-
gewiesen.
Das Chaos gefiel nicht jedem. „Absoluter
Flop. Völlig unorganisierte Vorträge und
im Ausstellerbereich ohne Mikro oder
Platz“, urteilte Nikdad Columbo auf Face-
book. „Ich bin extra wegen der Vorträge
von Stuttgart nach München gefahren.
Nach 30 Minuten habe ich beschlossen,
wieder zu gehen. 90 Euro Eintritt für eine
solche Veranstaltung ist meiner Meinung
nach eine Frechheit.“
Viele sehr junge Abgesannte
von Personaldienstleistern
Noch mehr ärgern dürfte sich ein Besu-
cher, wenn er erfährt, dass er deutlich
zu viel bezahlt hat. Zwar kostete das E-
Ticket laut Prospekt tatsächlich 89 Euro,
in der auf der Veranstaltung verteilten
Pressemeldung waren es dann aber nur
noch 15 Euro. Die Zahl der Aussteller
Talentpro: Überfüllte Premiere
MESSE-INNOVATION.
Eine neue Messe mit begleitendem Vortragsprogramm speziell zum
Thema „Recruiting“ wurde im März in München aus der Taufe gehoben. Die Veranstaltung
bot zwar interessante Vorträge, war aber restlos überfüllt (1.305 Besucher, 62 Aussteller)
und nach Beobachtung unserer Autorin schlecht organisiert.