WIRTSCHAFT UND WEITERBILDUNG 5/2018 - page 52

messen und kongresse
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wirtschaft + weiterbildung
05_2018
Berlin abgesagt, weil er nicht umziehen
wollte und pendeln für ihn auch nicht in-
frage kam, mit dem Argument, dass er
dann den Kontakt und den Austausch zu
seiner „Community-of-Practice“ verlieren
würde. Ich selbst hätte mit 22 Jahren so
einen Job sicherlich niemals abgelehnt.
Aber mittlerweile haben die Bewerber
eine viel feingeschliffenere Sensorik, wel-
che Faktoren zu ihnen persönlich passen
und welche nicht. Manchen Unterneh-
men fällt es ja sogar schwer, geeignete
Kandidaten von Berlin nach Potsdam zu
bewegen. Personalmarketingmanager
müssen sich deshalb Antworten auf Fra-
gen überlegen, die sie sich vorher nie-
mals gestellt haben. Viele Unternehmen
wie auch Volkswagen haben Innovation
Hubs in Berlin und anderen Städten ge-
gründet, um eben solche Zielgruppen zu
erreichen und systematisch Innovationen
zu fördern. Alles unter dem Schlagwort
„New Work“: Flexible Arbeitszeiten, we-
niger Kleidungszwang, Großraumbüros
in chilliger Loft-Umgebung, agile Pro-
jektstrukturen, alles ganz bewusst auf
junge Leute zugeschnitten. Allerdings
hat das mit dem Alltagsgeschäft oftmals
nur noch wenig zu tun. Bestimmte Auf-
gabenbereiche werden aus dem Kernge-
schäft herausgenommen und im Innova-
tion Hub gebündelt. Das sind klar zeitlich
abgegrenzte Projektaufgaben, wo Inno-
vationen entwickelt werden für die Zu-
kunft etwa der Automobilbranche. Sicher
sollten Unternehmen auch so etwas wie
Homeoffice oder Sabbaticals anbieten.
Aber all diese Zusatzpakete sollten nicht
darüber hinwegtäuschen, dass am Ende
des Tages genauso geliefert werden muss
wie vorher, es besteht weiterhin ein ganz
klares Leistungsverhältnis.
Welche Lehren haben Sie aus Ihrer Zeit
bei Volkswagen gezogen, welche
Ratschläge können Sie anderen
Unternehmen mitgeben?
Strauß:
Ich habe nach meiner Zeit bei
Volkswagen eine Studie mit 300 Un-
ternehmen zum Thema digitale Trans-
formation durchgeführt und dabei ver-
schiedene Faktoren für eine erfolgreiche
Bewältigung identifiziert. Wichtig ist zum
einen eine Strategie zur Digitalisierung zu
haben, die auch tatsächlich aktiv gelebt
wird und als Grundlage für den Diskurs
innerhalb des Unternehmens dient - also
weniger überladene theoretische Analytik
mit geringer Umsetzungsrelevanz als viel-
mehr einen Strategiediskurs, der die Stra-
Sie haben für den Volkswagen-Konzern
2011 und 2012 die digitale
Transformation von Vertrieb und
Marketing verantwortet – was waren
dabei die größten Herausforderungen?
Prof. Dr. Ralf E. Strauß:
Ob es VW ist oder
auch andere Unternehmen – meist ist
schnell klar: Die klassischen Incentives
wie betriebliche Altersvorsorge oder ein
Firmenwagen, die funktionieren immer
weniger. Die meisten Bewerber finden
das zwar ganz nett, aber da sie sowieso
meistens nicht vorhaben, länger als 2 bis
3 Jahre in einem Unternehmen tätig zu
sein, sind diese Punkte für sie kaum bis
gar nicht relevant. Sie möchten vor allem
für die Zeit, in der sie im Unternehmen
tätig sind, abgesichert sein. Außerdem ist
die Work-Life-Balance wichtig: Mir hat
mal ein toller, 22-jähriger Mitarbeiter aus
„Der größte Grundlagenbedarf
ist die Weiterbildung!“
ZUKUNFT PERSONAL NORD 2018.
Die Messe „Zukunft Personal Nord“, die vom 15. bis
zum 16. Mai in den Hamburger Messehallen stattfindet, konnte Prof. Dr. Ralf E. Strauß,
Präsident des Deutschen Marketing Verbands, als Keynote Speaker gewinnen. Was sein
Vortrag („Erfolg versus Nicht-Erfolg in der digitalen Transformation“) inhaltlich zu bieten
hat, verrät er in diesem Interview.
Prof. Dr. Ralf E.
Strauß.
Die
Digitalisierung
muss gelebt
werden!
Foto: Ralf E. Strauß
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