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wirtschaft + weiterbildung
05_2018
Nadine Schmidt
hot from the US
Kim Scott, eine ehemalige Google- und Apple-Mana-
gerin, macht gleich zu Beginn deutlich, an wen sich
ihr Buch richtet: „Bosses“. Hier wird der verstaubte
Mythos von der Führungskraft als Held noch
gepflegt. Das Buch soll dabei helfen, ein „guter, für-
sorglicher Boss“ zu werden.
Im ersten Teil geht es um die Idee von „Radical
candor“, also der schonungslosen Offenheit unter-
einander, die geprägt ist von zwei Aspekten: Sich
für den ganzen Menschen zu interessieren und zu
sorgen („care personally“) und ihn gleichzeitig direkt
zu konfrontieren („challenge directly“). Die Autorin
grenzt davon übertriebene Empathie, unangemes-
sene Aggressivität und manipulative Unaufrichtig-
keit ab. Das ist alles nicht neu, besticht aber in der
Beschreibung durch eine griffige Anschaulichkeit,
die Kim Scott mit vielen persönlichen Anekdoten
erzielt.
Im zweiten Teil des Buchs folgen viele pragmatische
Umsetzungsvarianten, die zeigen, wie man (bezie-
hungserhaltend) Kritisches zur Sprache bringen und
in Entscheidungsprozesse einfließen lassen kann.
Eine große Stärke des Buchs ist es, dass die Autorin
die aktive Gestaltung der Meeting- und Gremien-
struktur als zentrale Verantwortung von Führungs-
kräften hervorhebt: Wer muss mit wem und wie oft
wozu sprechen und wann wird etwas wie entschie-
den? Scott nutzt dafür den sogenannten „Get-Stuff-
Done“-Kreislauf, der die Schritte vor, während und
nach einer Entscheidung beschreibt. Daran entlang
führt sie exemplarisch aus, welche Art von Meeting
sich für welchen Schritt anbietet.
Dabei kommt Scott immer wieder darauf zurück,
wie solche Meetings genutzt werden können, um
eine „Radical-candor“-Kultur zu etablieren. So rät
sie Führungskräften beispielsweise dazu, sich aktiv
selbst zu exponieren und sich öffentlich (in Abtei-
lungsmeetings) von Teammitgliedern kritisieren zu
lassen – nichts wirke kulturprägender als die eigene
(souveräne) Antwort auf Kritik. Was all diesen wert-
vollen und praxisnahen Empfehlungen zugrunde
liegt, ist die Überzeugung, dass Offenheit immer
angebracht ist. Diese Einseitigkeit ist pro-
blematisch, weil sie blind macht für all die
Fälle, in denen Offenheit schaden würde.
Die Autorin selbst thematisiert das nur am
Rande und besteht darauf: Wer „Radical
candor“ lebe, sei der bessere Boss.
Was Scott damit zum Verschwinden bringt, ist der
andere Pol, der zu Unrecht abgewertet wird: das
Verbergen. Coachs und Berater tun gut daran,
den Widersprüchen der Welt nicht mit eindeutigen
Lösungen und „So-ist-es-richtig-Konzepten“ zu
begegnen. Das Buch liefert wertvolles Handwerks-
zeug – eine kluge Theorie, die es für einen wirk-
samen Einsatz von Tools braucht, bleibt das Buch
schuldig.
Ein Führungsratgeber aus dem Silicon Valley
Schonungslose Offenheit statt
ruinöser Empathie
Nadine Schmidt, München, arbeitet als international tätige Beraterin und Executive Coach (Mail:
hat unter anderem an der UC
Berkeley studiert und ist Alumna und Lecturer am CDTM (Center for Digital Technology & Management). Sie begleitet Organisationen und Führungsteams bei der
Gestaltung der Zukunft. In regelmäßiger Abfolge stellt sie an dieser Stelle neue Fachbücher aus den USA vor, deren Lektüre sich für unsere Leser lohnt.
Foto: Kay Blaschke
Kim Scott:
„Radical
candor. How to get what
you want by saying what
you mean”, Pan Books
Taschenbuchausgabe,
New York 2018, 272 Sei-
ten, 9,99 Euro
Offenheit immer gut und angebracht?
Diese Einseitigkeit ist problematisch.
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