WIRTSCHAFT UND WEITERBILDUNG 5/2018 - page 27

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wirtschaft + weiterbildung
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dann mussten wir bereit sein, den ande-
ren aufzufangen beim Aufstieg aufs Breit-
horn. Das hat schon sehr viel Symbolik
und zeigt, welches umfassende Vertrauen
in der Konzernleitung erforderlich ist“,
berichtet Andreas Meyer, seit dem Jahr
2007 der CEO der SBB.
Gegenseitiges Vertrauen war
der Startpunkt
Der gemeinsame Aufstieg aufs Breithorn
spiegelt den in den vergangenen Jah-
ren gewachsenen Zusammenhalt in der
Konzernleitung wider. Nach der Privati-
sierung der SBB und der Aufgliederung
in Divisionen um die Jahrtausendwende
hatte sich ein Silodenken eingeschlichen.
Das Verständnis für übergreifende Pro-
zesse und der Blick für unnötige Redun-
danzen in den Aktivitäten schwanden
mehr und mehr. Nur selten stand noch
das Gesamtoptimum der SBB im Mittel-
punkt von Überlegungen. Statt sich als
große Eisenbahnerfamilie zu sehen, iden-
tifizierten sich viele vor allem mit ihrer
jeweiligen Division.
Der SBB-Konzernleitung gelang es je-
doch, den kulturellen Wandel durch ge-
zielte Maßnahmen in eine neue Richtung
zu lenken. Dazu wurde auf struktureller
Seite eine Langfristplanung mit überge-
ordneten Koordinationsprozessen etab-
liert, um die Interdependenzen der Divisi-
onen und Konzernbereiche aufzuzeigen.
Zudem wurden Querschnittsfunktionen
wie Finanzen, Einkauf und IT standardi-
siert und wo sinnvoll auf Konzernebene
zusammengefasst.
Ergänzt wurden diese strukturellen Ände-
rungen durch einen umfangreichen kul-
turellen Transformationsprozess, der ins-
besondere in den Programmen Top-SBB I
und II sowie den Nachfolgeprogrammen
„Transformation I“ und „Transformation
II“ seinen Ausdruck fand – groß ange-
legten Kulturveränderungsprogrammen.
Dabei wurde an gemeinsamen Zielen,
einem gemeinsamen Verständnis von
Führung, gemeinsamen Werten sowie an
einem übergeordneten Leitbild gearbei-
tet. Wichtig war, dass die Mitarbeitenden
einbezogen wurden. So waren an der Er-
arbeitung der SBB-Werte gut 2.000 Mit-
arbeitende beteiligt. Divisionsübergrei-
fende Workshops mit Führungskräften
verankerten die Ergebnisse anschließend
im Unternehmen. Beim Folgeprogramm
Top-SBB II entwickelte die Konzernlei-
tung gemeinsam mit den Mitarbeitenden
ein Leitbild. Enthalten war dabei auch ein
Versprechen an die Kunden: „SBB 2016:
Unterwegs zuhause. Bei der Kundenzu-
friedenheit gehören wir zu den Topunter-
nehmen der Schweiz.“
Dies war ein ambitioniertes Unterfangen,
vor allem angesichts etlicher Herausfor-
derungen: einer massiven Unterdeckung
der Pensionskasse, einer über Jahre de-
fizitär agierenden Güterverkehrsdivision
SBB Cargo und einer prognostizierten
Finanzierungslücke beim Unterhalt der
Bahninfrastruktur.
Das Konzept der
organisationalen Energie
Dennoch war sich die Konzernleitung der
SBB sicher, das Kundenziel gemeinsam
erreichen zu können. Der Grundstein
hierfür sollte im Rahmen der Zermatt-
Expedition bei einem zweitägigen Work-
shop mit der Konzernleitung gelegt wer-
den.
Zunächst wurde die Ist-Situation eva-
luiert: Wer sind unsere Kundinnen und
Kunden? Wo stehen wir beim Thema
Kundenzufriedenheit? Haben wir den
Fokus auf die richtigen Themen? Welche
sind die wichtigen Kundentouchpoints?
Und letztlich auch: Wie ist die Energie?
Sind unsere Führungskräfte und Mitar-
beitenden bereit, sich reinzuhängen und
alle Aktivitäten auf die Kundinnen und
Kunden auszurichten?
Auf dem Breithorngipfel wurden der Kon-
zernleitung die Ergebnisse einer aktuel-
len Managementbefragung präsentiert.
Erstmals war dabei auch eine sogenannte
Pulsmessung der organisationalen Ener-
gie enthalten. Die Frage war: Wie stark
sind bei der Führungsmannschaft das En-
gagement und die Dynamik im Hinblick
auf das Kundenziel 2016?
Organisationale Energie beschreibt, wie
stark Unternehmen ihr Potenzial aktiviert
und auf die gemeinsamen Ziele fokussiert
haben. Das Ausmaß der Energie hat einen
starken Einfluss auf Leistung, Innovation,
Kundenbegeisterung und Mitarbeiten-
denbindung. Die Energiemessung macht
es möglich, das Bauchgefühl, das viele
Führungskräfte diesbezüglich besitzen,
greifbarer zu machen. Dadurch werden
auch gezielte Verbesserungen möglich.
Zudem erlaubt das Konzept wie im Fall
der SBB ein systematisches Monitoring
von Change-Prozessen: Haben wir un-
sere gesamte Mannschaft an Bord? Wo
besteht gegebenenfalls Widerstand und
Resignation? Wo gibt es die Gefahr einer
Überhitzung?
Anhand der beiden Dimensionen Intensi-
tät und Qualität werden vier mögliche Zu-
stände unterschieden: Angenehme Ener-
gie (1) beschreibt ein Klima mit hoher
Zufriedenheit, Gelassenheit und Identifi-
kation. Resignative Trägheit (2) zeigt an,
wie stark das Arbeitsklima von Enttäu-
schung, Gleichgültigkeit oder Frustration
geprägt ist. In Unternehmen mit hoher
korrosiver Energie (3) herrscht zwar ein
hohes Energiepotenzial, die mobilisierte
Energie wird allerdings in destruktive
Aktivitäten investiert, etwa Mikropolitik,
interne Kämpfe und Spekulationen. Die
produktive Energie (4) stellt schließlich
den wünschenswerten Energiezustand
dar, der sich in einem hohen Maß an En-
gagement für gemeinsame Ziele äußert.
Allgemeines Wohlbefinden,
aber teilweise auch Trägheit
Die Ergebnisse der SBB-Managementbe-
fragung vom Jahr 2014 zeigten, dass sich
die positiven Energiewerte allgemein auf
hohem Niveau befanden. Insbesondere
die angenehme Energie, also das Wohlbe-
Arten von Energie
Konzept.
Die „organisationale
Energie“ beschreibt, wie stark
Firmen ihr Potenzial aktiviert und
auf Ziele fokussiert haben.
Quelle: Bruch & Vogel, 2011
Intensität
Qualität
hoch
niedrig
negativ
positiv
Korrosive
Energie
Produktive
Energie
Angenehme
Energie
Resignative
Energie
1...,17,18,19,20,21,22,23,24,25,26 28,29,30,31,32,33,34,35,36,37,...68
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