WIRTSCHAFT UND WEITERBILDUNG 5/2018 - page 23

wirtschaft + weiterbildung
05_2018
23
Verlag Schattauer, Stuttgart, herausge­
bracht wurde. Interessante Hintergrund­
informationen zu diesem Thema liefert
auch das Buch „Narzissmus: Grundlagen
– Störungsbilder – Therapie“ von Otto F.
Kernberg und Hans P. Hartmann, das im
Jahr 2006 ebenfalls im Verlag Schattauer
erschienen ist. Die Selbstverleugnungs­
formen „Ich spüre keinen Schmerz“ und
„Ich bin grandios“ sollten wir näher be­
trachten:
1.
„Ich spüre keinen Schmerz“
Manche Menschen lernen sich selbst in
der Form zu verleugnen, dass schmerz­
liche Erfahrungen beim Scheitern, bei
Niederlagen, bei Erschöpfung konsequent
verdrängt, überspielt und bekämpft wer­
den. Auf einen einfachen Satz gebracht:
„Geht nicht, gibt’s nicht!“. Anders for­
muliert „Be the winner!“. Es gibt keine
Alternative zum Sieg. Der Beste oder
nichts. Wenn man in einer solchen Welt
groß wird, darf man keinen Schmerz,
kein Zögern, keine Zweifel kennen. Fallen
ist die Vorbereitung für das Aufstehen.
Aufgeben ist vollständig mit Scham und
Vernichtungsgefühlen gekoppelt. Daher
kommt es nicht infrage, etwas als unmög­
lich anzusehen. Es gibt keine Probleme,
nur Herausforderungen. Klar, dass Kinder
mit solchen inneren Mustern von klein
auf konkurrieren, ehrgeizig sind, es an­
deren zeigen wollen. Dadurch werden
sie gut, sie tun sich hervor, sie entfalten
ihre Talente. Die Bestätigung, die daraus
erwächst, bestärkt den eingeschlagenen
Weg. Die Verachtung für Verlierer, die
sich bald auch in den Kindern bildet, tut
ihr Übriges, um jede Form von Einfüh­
lung in beide Seiten des Lebens – Gelin­
gen und Scheitern – zu verhindern.
Der große Nachteil dieses Musters ist,
dass diese Menschen per se immer weit
über ihre eigenen Grenzen hinausgehen
und dies als Teil ihrer Person ansehen.
Nach dem 14-Stunden-Managementtag
setzt man die Stirnlampe auf und trai­
niert für den Halbmarathon. Entspan­
nung wird im Ausdauersport gesucht.
Das kann nicht lange gut gehen, weil das
inhärente Prinzip heißt: „Forever young!“.
Mit dem Älterwerden kommen zwangs­
läufig Leistungsgrenzen, Leistungseinbu­
ßen, Verletzungen und Krankheiten. Und
damit kommen die Krisen und meist De­
pressionen. Die verdrängten und aus der
Selbstwahrnehmung getilgten Gefühle
kommen zurück. Im Management lan­
den Menschen mit solchen Mustern be­
sonders oft, da sie genau das liefern, was
Organisationen erwarten. Selbst unmög­
liche Aufträge werden angenommen und
unerfüllbare Fristen werden eingehalten.
Solche Manager lernen gern von Extrem­
sportlern, Abenteurern und anderen Men­
schen, die Außergewöhnliches erreicht
haben. Das sind ihre Vorbilder. Zudem
kommt hinzu: Weil keine Fehler sein dür­
fen, werden diese Fehler geleugnet und
deshalb weiter gemacht, auch wenn der
Untergang sich schon abzeichnet. Das
ist für Organisationen sehr gefährlich,
da dann zu spät korrigiert werden kann
und es im Desaster endet. Trotzdem nei­
gen Organisationen dazu, die Grenzen
des Machbaren und Leistbaren immer
weiter zu verschieben (Kostenreduktion,
Effektivitätssteigerungsprogramme). Wer
keinen Schmerz kennt, geht mit. Dabei
wäre Organisationen sehr gedient, wenn
jemand Unmögliches als unmöglich be­
nennt. Burn-out beim Versuch, das Un­
mögliche möglich zu machen, ist ein
gesundes Symptom, keine Krankheit! In
Summe bleibt festzuhalten: In Organisati­
onen, die ständig ihre Leistungsfähigkeit
verbessern wollen (oder müssen), sind
Mitarbeiter, die keine Grenzen spüren,
vordergründig hoch attraktiv. Und für
Menschen, die ihre Grenzen nicht spü­
ren, ist Karriere hoch attraktiv, sodass
viele im Management auch ganz oben
landen. Überlebensnotwendig ist jedoch
sowohl für Organisationen wie für Men­
schen, dass sie Grenzen wahrnehmen.
Der sonst eintretende Realitätsverlust ge­
fährdet nicht nur den Erfolg, er gefähr­
det die Existenz. So sind Menschen ohne
Grenzen zunächst erfolgreich und landen
dann oft im Burn-out.
2.
„Ich bin grandios“
Eine inzwischen besonders populäre
Form der Selbstverleugnung besteht
darin, dass man denkt, dass man das ist,
was man sein sollte. Bekannt geworden
ist diese Symptomatik unter dem Stich­
wort „Narzissmus“. Menschen brauchen
ein Echo, um ihrer selbst gewahr zu wer­
den. Sie werden am Du zum Ich. Das
setzt voraus, dass Eltern ihre Kinder in
ihrer Eigenart sehen können. Nicht we­
nige – vor allem auch dann, wenn Kinder
Lebensinhalt sind – sehen in ihren Kin­
dern das, was die Kinder sein sollen: Sie
sind großartig, schön, erfolgreich bezie­
hungsweise sollen es werden, sie sollen
sich positiv von anderen abheben, sie sol­
len Papas kleine Prinzessin oder Mamas
toller Hecht sein. Das Entscheidende ist,
dass dabei die eigenen Impulse, das ei­
gene Tempo, die eigene Art, auf die Welt
zuzugehen, nicht im Spiel sind oder hin­
ter den Idealen und Zielen der Eltern
verschwinden. So verlieren Kinder recht
schnell den Bezug zu sich selbst, weil
ja auch die Eltern nicht wirklich einen
Bezug zu ihnen haben. Stattdessen lernen
sie, dem Bild, das die Eltern von ihnen
R
Coach und Coachee.
Peter Bauer (rechts) ließ sich in seiner Zeit als Vorstandschef
der Infineon AG von Klaus Eidenschink (Mitte) coachen. Auf einer Podiums-
diskussion berichtete er, wie er sich im Job seine innere Unabhängigkeit bewahrte.
Foto: Pichler
1...,13,14,15,16,17,18,19,20,21,22 24,25,26,27,28,29,30,31,32,33,...68
Powered by FlippingBook