titelthema
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wirtschaft + weiterbildung
05_2018
(vor allem körperliche Symptome), ein
Wechsel in Opferrollen („Mit mir kann
man es ja machen“) oder in Hilflosigkeit
sind häufig als Formen des Burn-outs zu
beobachten. Also – auch die „Sei stark“-
Strategie passt viel weniger als früher in
Organisationen.
4.
Kompensationsstrategie:
„Ich bin o. k., wenn ich es anderen
recht mache.“
Viele Menschen müssen sich als Kinder
dahin flüchten, für die Eltern da zu sein:
• für deren bewusste und unbewusste
Bedürfnisse,
• für die Beachtung ihrer Regeln, sodass
die Eltern sich als wirksam erleben und
das Gefühl von Kontrolle behalten,
• für deren psychische Stabilität, weil sie
selbst nicht wirklich geben können,
• für deren Identitätsgefühl, indem sie so
werden, wie die Eltern sie haben wol
len.
So entsteht das grundlegende Kompen
sationsmuster, dass man andere immer
zufriedenzustellen hat und für das Wohl
ergehen anderer verantwortlich ist. „Mir
geht es nur gut, wenn es den anderen gut
geht“. Das führt zwangsläufig zu kon
fliktvermeidendem Verhalten, großen
Schwierigkeiten, Nein zu sagen und Po
sition zu beziehen. So verliert man die
eigene Kontur, das Selbstwertgefühl lei
det genauso wie die Wirksamkeit. Letzt
lich entsteht aber auch keine wirkliche
Nähe, da ja immer nur die Wünsche des
anderen zählen und man selbst zu kurz
kommt und auf der Strecke bleibt. Wer
mit einem solchen inneren Muster in Or
ganisationen arbeitet, ist schon immer
unter Stress, weil man in Organisationen
geradezu von Erwartungen umstellt ist.
Das Dilemma, es vielen recht machen zu
müssen, kommt zur Blüte, wenn gänzlich
unterschiedliche Sachen von einem er
wartet werden.
Das ist in Projekt- und Matrixorganisati
onen die Regel. So entkommt man nicht
der Notwendigkeit, andere zu enttäu
schen: Familie oder Chef, Anforderungen
der Zentrale oder der Region, Aufträge
des Linien- oder Projektvorgesetzten?
Niemals kann man es jedem recht ma
chen. So entsteht ungünstiger Stress
und damit ein eindrucksvoller Boden für
Burn-out.
5.
Kompensationsstrategie: „Ich bin o.
k., wenn ich mich beeile.“
Wer von klein auf erlebt, dass die Be
zugspersonen nie wirklich ganz da, ganz
präsent sind, sondern innerlich oder äu
ßerlich immer mit etwas anderem, dem
Nächsten und Übernächsten, beschäftigt
sind, der wird kein Gefühl für den Augen
blick bekommen. Er wird nicht verweilen
können und stattdessen sein Augenmerk
darauf richten, schnell zu werden. Nichts
zu verpassen, möglichst viel in ein Zeit
fenster zu packen – das ist wichtig und
gibt einem das Gefühl, in Ordnung zu
sein. Menschen im „Beeil Dich“-Modus
sind leicht ungeduldig, neigen zu Schnell
schüssen und zu Aktionismus. Ihr ge
samter Lebensalltag ist an der Uhr aus
gerichtet und nie ist genug Zeit. Dass die
ser Verhaltens- und Erlebensstil in einer
organisationalen Welt, in der die To-dos
und E-Mails kein Ende haben, stressig ist
– wer könnte daran Zweifel haben? Man
kann in gegenwärtigen Organisationen im
Grunde nie fertig werden, egal, wie sehr
man sich beeilt. Also auch hier: Organisa
tionen passen nicht mehr zu dieser Form
der Notbewältigung.
6.
Kompensationsstrategie: „Ich bin o.
k., wenn ich mich anstrenge.“
Mühsam, schwitzend, angestrengt – so
erleben manche Menschen die Welt von
Beginn an. Ohne Schweiß und Tränen
zählt nicht wirklich etwas. Schönes und
Leichtes fehlt, das Leben ist ein Kampf.
Neuem begegnet man mit Bedenken,
aber mit 150 Prozent Einsatz. Viele Men
schen kennen Familien, in denen eine
solche Atmosphäre herrscht. Für Organi
sationen sind Menschen, die so ein inne
res Muster erworben haben, dort gefragt,
wo es um Einsatzbereitschaft geht. Auch
wenn es um Effizienz und Effektivität
nicht zum Besten steht – als Mitarbeiter
für Stellen, in denen es um das Abar
beiten und Lasten abtragen geht, eignen
sich „Anstrengungs-Menschen“ sehr gut.
Doch solche Stellen gibt es kaum noch.
Fast bis in den letzten Winkel hat sich in
Organisationen die Anforderung durch
gesetzt, dass am Ende nur das Ergebnis
zählt. Das aber ist für Menschen, die
ihren Beitrag daran ablesen, ob er müh
sam und schweißtreibend war, der pure
Stress und damit „Burn-out-treibend“. Sie
finden ihren Platz nicht mehr und fühlen
sich abgehängt und nicht mehr wichtig.
So ist auch die letzte der hier gesammel
ten Strategien zur Bewältigung von Nicht-
Okay-Gefühlen mit der Funktionslogik
gegenwärtiger Organisationen nur mehr
bedingt kompatibel. Die Passung zwi
schen neurotischer Stabilisierung und
den Stressreizen in der Arbeitswelt ist
schlecht geworden. Daher brechen diese
Muster auch früher und schneller zusam
men und lösen symptomatische Krisen
aus. Eine davon ist Burn-out. Die Rettung
über passendes Verhalten ist – wie oben
angedeutet – jedoch nur ein Cluster von
Varianten, um eine kompensatorische
Selbstregulation zu gewinnen. Andere
müssen sich anders behelfen.
Teil C:
Die Rettung in den
Schein
Das, was für viele zunächst ein guter
Ausweg ist – die eben geschilderten fünf
Arten, sich geschickt über Handlungsstra
tegien an die Umwelt anzupassen -, bleibt
anderen Menschen verwehrt. Sie hatten
kein Gegenüber, welches eine klare Stra
tegie zuließ, in dessen Gegenwart man
ablesen konnte, was sich lohnt. Es gibt
Menschen, die bekamen keine Botschaf
ten, was zu tun ist. Sie bekamen nur Bot
schaften, wer sie zu sein haben. Solche
Erfahrungen beeinträchtigen die Selbst
regulation sehr viel umfassender, da der
„Eingriff“ in die eigene Psyche nicht mehr
über Verhaltensauswahl, sondern über
Einschränkung der Selbstwahrnehmung
vollzogen wird. Zwei dieser – insgesamt
sehr vielfältigen Möglichkeiten – sind
für das Thema Burn-out von besonderer
Bedeutung, weil sie – ähnlich der oben
geschilderten Strategien – einerseits sehr
wirksam sind und gleichzeitig in den ge
genwärtigen organisationalen Verhältnis
sen sehr viel schneller als früher in die
Krise kommen. Die beiden Selbstverleug
nungsformen kann man mit „Ich spüre
keinen Schmerz“ und „Ich bin grandios“
überschreiben.
Ausführliche Erläuterungen dazu finden
sich in dem Buch „Psychotherapie nar
zisstisch gestörter Patienten: Ein verhal
tenstherapeutisch orientierter Thera
pieansatz“ von Claas-Hinrich Lammers
und Gitta Jacob, das ihm Jahr 2014 vom
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