WIRTSCHAFT UND WEITERBILDUNG 5/2018 - page 18

titelthema
18
wirtschaft + weiterbildung
05_2018
04.
Der Selbstwert wird nicht an
das Erreichen von
beruflichen
Zielen
gekoppelt.
05.
„Eigene Talente nutzen“ ist
wichtigeres Ziel als
Macht,
Geld oder Bewunderung.
06.
Es gibt immer alternative
Möglichkeiten, die eigenen
Fähigkeiten zu
entwickeln.
R
chronischer Enttäuschungen und einer
mangelnden Kompetenz der Mitarbeiter,
in Organisationen gut zurechtzukommen.
Damit gerät die Frage „Welche innersee­
lischen Kompetenzen brauchen Men­
schen, um mit schwierigen Verhältnissen
in Organisationen gut zurechtzukom­
men?“ in den Fokus.
Die kurze Antwort besteht aus zwei Tei­
len: Zum einen geht es darum, sich von
unglücklich machenden und damit stress­
erzeugenden Erwartungen an Organisa­
tionen zu verabschieden. Zum anderen
geht es darum, sein Wohlbefinden nicht
von spezifischen Verhältnissen und Be­
dingungen abhängig zu machen, also
sich seelische Autonomie zu erarbeiten.
Burn-out wäre dann eben auch eine Folge
von Fehlanpassungen der Mitarbeiter an
die Organisationen, die jedes Organisati­
onsmitglied für sich im Prinzip verändern
könnte. Dass damit sekundär auch mehr
und effektivere Möglichkeiten entstün­
den, Organisationen für die Mitarbeiter
zu verbessern und gedeihlicher zu ge­
stalten, wäre gleichzeitig alles andere als
ausgeschlossen.
Teil A:
Stresserzeugende
Erwartungen an
Organisationen
1.
Stresserzeugende Erwartung
„Humanität“
Die Erwartung, dass Organisationen
human sein sollen, ist wohl den meisten
Menschen selbstverständlich. So verstört
es meist eher, wenn man diese Selbst­
verständlichkeit infrage stellt. Aus Sicht
der systemtheoretischen Organisations­
theorie führen Organisationen ein Eigen­
leben (Niklas Luhmann). Sie beziehen
sich also auf ihr eigenes Überleben und
nicht auf das „Gutgehen“ ihrer Mitglie­
der. Sehr vereinfacht und provozierend
formuliert: Organisationen berücksich­
tigen deshalb menschliche Bedürfnisse,
weil es nötig ist, um diese als Mitglieder
zu gewinnen und zu halten. Aufgrund
dieses Eigenlebens – dessen Herleitung
hier den Rahmen sprengen würde – sind
Organisationen auch nicht von Menschen
steuerbar, rational kontrollierbar und ziel­
gerichtet veränderbar. Auch nicht von der
Hierarchiespitze. Wer je erlebt hat, wie
ohnmächtig sich Vorstände fühlen kön­
nen, nachdem mal wieder ein „Change-
Projekt“ gescheitert ist, kann das nach­
vollziehen.
Wenn aber Organisationen für ihr Über­
leben sehr viel mehr berücksichtigen
(müssen) als das Wohlergehen ihrer Mit­
glieder, ist es nicht so sinnvoll, darauf zu
setzen. Selbst Organisationen, die sich
Humanität und Liebe auf die Fahnen ihrer
Identität schreiben wie Kirchen, Umwelt­
organisationen, Kinderhilfswerke oder die
„Ärzte ohne Grenzen“, fallen immer wie­
der durch inhumane Entscheidungen als
Arbeitgeber auf (und müssen dies auch).
Ohne dem Einzelfall nicht gerecht wer­
dende Regeln, ohne Regeltreue an Stel­
len, wo der Einzelne auf Nachsicht hofft,
ohne Gleichbehandlung von unterschied­
lichen Menschen, ohne Verknappung,
wo der Mitarbeiter dringend Ressourcen
bräuchte – ohne all das wäre keine Orga­
nisation überlebens- oder auch nur funk­
tionsfähig.
2.
Stresserzeugende Erwartung
„Wertschätzung“
Die zweite recht übliche Erwartung an
Organisationen ist, dass die Mitarbeiter
Wertschätzung für die geleistete Arbeit
erwarten. Nun ist überhaupt nichts gegen
Wenn es um das Thema „Burn-out“ geht,
dann stehen sehr oft die Verhältnisse
in den Unternehmen in der Kritik – der
chronische Druck, die ständige Erreich­
barkeit, die übermäßige Mobilität, die
unsicheren Arbeitsbedingungen, die Ab­
nahme von solidarischen Strukturen oder
von Arbeitnehmerrechten, die hyperkom­
plexen Verhältnisse oder die zu hohe Ver­
änderungsdynamik. Dies führt zur nahe­
liegenden Schlussfolgerung, dass die Un­
ternehmen sich ändern müssten. Es soll
hier nichts über die Berechtigung solcher
Überlegungen ausgesagt sein. Dieser Text
setzt bei einem anderen, eher unüblichen
Ausgangspunkt an.
Menschen tun sich mit Organisationen
auf erstaunliche Weise schwer. Weil Or­
ganisationen von Menschen geschaffen
sind, sollen sie nach gängiger Meinung
auch für die Mitarbeiter da sein und
deren Belangen entsprechen. Diese am
Menschen orientierte Sichtweise von Or­
ganisationen übersieht jedoch, dass Orga­
nisationen auch als eine gesellschaftliche
Erfindung angesehen werden müssen,
deren Eigendynamik und Eigenlogik er­
heblich ist. Mit einfacher Bürokratie- oder
Kapitalismuskritik macht man es sich zu
einfach und eine solche Kritik greift the­
oretisch ebenso zu kurz wie die pragma­
tischen Versuche zur Humanisierung der
Arbeitswelt.
Und obwohl es durch solche Appelle
und Ermahnungen nicht wirklich ge­
lungen ist, Organisationen zu verbes­
sern, drängt sich die Frage auf, wodurch
diese Kritik an Organisationen motiviert
ist? Denn (und das ist eine der Thesen
dieses Beitrags), wenn Organisationen
durch falsche Erwartungen ihrer Mitglie­
der überfordert werden, dann wäre die
Kritik auch zu verstehen als die Folge
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