WIRTSCHAFT UND WEITERBILDUNG 5/2018 - page 12

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wirtschaft + weiterbildung
05_2018
INTERVIEW TEIL 2.
Der Pionier der systemischen
Organisationsberatung, Fritz B. Simon, hat im März im
Carl-Auer-Systeme Verlag, Heidelberg, das Buch „Formen“
veröffentlicht. Es gilt in der Branche als sein Meisterwerk in
Sachen Systemtheorie. Im dritten Teil des Interviews, den
wir im nächsten Heft abdrucken, wird es unter anderem um
die Besonderheiten von Familienunternehmen gehen.
Im Allgemeinen werden soziale Systeme, also Organisationen,
Teams, aber auch Familien als Ansammlung von Menschen
betrachtet. Dem Leser ihres neuesten Buchs fällt schnell auf,
dass sie eine andere Perspektive zugrunde legen.
Prof. Dr. Fritz B. Simon:
Es gibt ja eine lange soziologische Tra-
dition, nach der menschliche Individuen als die Elemente so-
zialer Systeme betrachtet werden. Und das geschieht in den
meist verwendeten Alltagstheorien ja ebenfalls. Aber dieser
Blickwinkel bringt große Probleme mit sich – nicht nur in der
Theorie, sondern auch in der Praxis. Nehmen wir als Beispiel
eine Organisation. Wenn wir versuchen zu verstehen, was in
einem Unternehmen mit Tausenden von Mitarbeitern abläuft
und wie Entscheidungen getroffen werden, dann fliegt ihnen
in diesem Modell die Komplexität um die Ohren. Denn jeder
einzelne Mitarbeiter ist als „ganzer Mensch“ ja schon ein kom-
plexes Wesen.
Sein Organismus ist ein extrem komplexes biologisches Sys-
tem, seine Psyche ist in ihrer Komplexität ebenfalls nicht zu
unterschätzen. Selbst wenn wir den Organismus mal ausklam-
mern, dann können Sie durch die Addition der Psychodynamik
Tausender Mitarbeiter auch mit der raffiniertesten Psychologie
nicht erklären, wie die Organisation tickt. Sie brauchen einen
Ansatz, der erklärt, wie es gelingen kann, dass so viele unter-
schiedlich denkende und fühlende Menschen ihre Handlungen
soweit koordinieren, dass die Organisation als Ganzes irgendet-
was mehr oder weniger Gescheites zustande bringt.
Foto: Pichler
„Wir leben in einer
Welt gegenseitiger
Austauschbarkeit“
Was ist die Alternative?
Simon:
Die Alternative liefert die Kommunikationstheorie.
Denn es ist Kommunikation, was für die Koordination der
Handlungen all dieser unterschiedlichen Menschen sorgt.
Wenn man mit solch einer Brille auf Organisationen schaut,
dann lässt sich deren Komplexität so weit reduzieren, dass da-
raus Handlungsanweisungen für den Alltag abgeleitet werden
können. Sie können analysieren, welche Spielregeln in einem
sozialen System – sei es eine Familie, ein Team, eine Organisa-
tion oder auch eine Kultur – praktiziert werden.
Um ein Spiel zu verstehen, brauchen sie nicht zu wissen, wie
die körperlichen Prozesse der Teilnehmer funktionieren. Ge-
wisse Aspekte müssen sie berücksichtigen, weil die Organis-
men der Mitarbeiter relevante Umwelten der Organisation sind,
die sie nicht ungestraft wegdenken können. Aber andere kön-
nen sie vernachlässigen. Sie müssen für die alltägliche Versor-
gung der Mitarbeiter mit Nahrungsmitteln sorgen, für Toiletten,
für Arbeitsbedingungen, die nicht gesundheitsgefährdend sind.
Aber wenn jemand krank wird, dann bleibt er zu Hause und
jemand anderes übernimmt die Fürsorge für sein körperliches
Wohlergehen. Das heißt, die Organisation muss sich nur hoch
selektiv mit den Körpern oder Organismen ihrer Mitglieder be-
schäftigen.
Aber wie steht es mit der der Psyche der Mitarbeiter?
Schließlich braucht die Organisation ja deren lebendiges und
Fritz B. Simon.
Er ist systemischer Organi-
sationsberater und war Professor für Füh-
rung und Organisation an der Universität
Witten/Herdecke. Mehrfach wurde er vom
„Personalmagazin“ zu einem der „40 füh-
renden Köpfe im Personalwesen“ gewählt.
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