WIRTSCHAFT UND WEITERBILDUNG 5/2018 - page 20

titelthema
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wirtschaft + weiterbildung
05_2018
Das fördert zwangsläufig innerseelische
Welten, die grau und leer und damit
Burn-out-gefährdet sind.
Halten wir fest: Jede dieser fünf skiz­
zierten Erwartungen verlagert die Verant­
wortung für wichtige seelische Bedürf­
nisse nach außen. Das heißt, dass Men­
schen ihr Wohlbefinden von bestimmten,
für sie günstigen oder als notwendig
empfundenen Umständen abhängig ma­
chen. So gerät man aber an den „kurzen
Hebel“, da man äußere Umstände nie
unter Kontrolle hat – Organisationen ge­
nauso wenig wie Vorgesetzte, Kollegen
oder im privaten Bereich Partner, Kinder
oder Eltern. Das Einzige, was Menschen
wirklich und ohne Wenn und Aber be­
einflussen können, sind sie selbst. Daher
ist im Hinblick auf anhaltende Vitalität,
Motivation, Zufriedenheit und Glück
entscheidend, sein Wohlbefinden nicht
an illusionäre Hoffnungen zu knüpfen.
Wer von Organisationen erwartet, dass
sie eine heile Welt bieten, verkennt diese.
Organisationen sind um Konflikte herum
gebaut und daher immer voller Span­
nungen, Widersprüche, Mehrdeutigkeiten
und Güterabwägungen. Sie verwalten
Knappheit. Dies ist mit den fünf darge­
stellten Erwartungen nicht zu vereinba­
ren, sodass ein wichtiger Schritt einer
Burn-out-Prophylaxe darin besteht, sich
von ihnen zu verabschieden, so selbstver­
ständlich sie derzeit für viele Organisati­
onsmitglieder auch sein mögen.
Teil B:
Mangelnde seelische
Selbstregulation
Um im Leben gut zurechtzukommen,
braucht es eine stabil funktionierende
psychische Selbstregulation. Erst recht
braucht man diese als Mitglied in Organi­
sationen. Wer sich für sein Wohlbefinden
selbst zuständig fühlt und nicht (wie das
bei Kindern der Fall ist) von der Umwelt
günstige Bedingungen braucht, kommt
mit den Rissen und Versagungen nicht
idealer Arbeitswelten gut zurecht. Nun
sind natürlich auch die Menschen nicht
so „ideal“, wie das für sie selbst und ihre
Umgebung wünschenswert wäre. Viele
haben schlimme, zum Teil traumatische
Erlebnisse früh im Leben verarbeiten
müssen. Kaum liebevolle Beziehungen,
körperliche oder seelische Abwesenheit
R
wichtiger Bezugspersonen, Streit und
Gewalt in der Familie, Armut und Not,
zu wenig oder zu hohe Ansprüche der
Eltern und so vieles andere mehr. Unter
ungünstigen äußeren Bedingungen bilden
Kinder Formen der Selbstregulation aus,
die ihnen helfen, mit diesen ungünstigen
Bedingungen zurechtzukommen, auch
wenn damit schlechte Nebenwirkungen
einhergehen. Wenn nun diese Selbststeu­
erungsmuster auch unter neuen Verhält­
nissen nicht aufgegeben werden (was die
Regel ist), entsteht unausweichlich dau­
erhafter Stress.
Es lässt sich nun an einigen dieser – häu­
fig genutzten – ungünstigen seelischen
Verarbeitungsmuster zeigen, dass diese
unter den gegenwärtigen Bedingungen,
die in Organisationen herrschen, noch
schneller ihr negatives Potenzial für die
Betroffenen entfalten. Die heutigen Orga­
nisationen passen nicht mehr so gut zu
kulturell verbreiteten psychischen Über­
lebensstrategien, sodass in der Folge ein
Zusammenbrechen dieser Strategien die
Folge ist. Dies nennt sich dann Burn-
out. Will man die Zunahme von Burn-
out-Phänomenen verstehen, gilt es also
zu begreifen, woran man einen Mangel
an Selbstregulation erkennen kann und
warum sich solche Mängel in den gegen­
wärtigen Organisationen besonders un­
günstig bemerkbar machen.
Die Basis aller gelingenden Selbstregula­
tion ist das Gefühl „Ich bin in Ordnung“.
Aufkommende innere Impulse dürfen
erlebt werden, werden also nicht grund­
sätzlich unterdrückt, sie werden ernst
genommen, werden also nicht grundsätz­
lich verneint und oder negativ bewertet
und sie werden in Ruhe untersucht, ob
sie der Situation angemessen und dien­
lich sind, werden also nicht einfach aus­
agiert. Dieses Gefühl in Ordnung zu sein,
ist also nicht abhängig von dem, was man
tut und an Leistungen erbringt. Es ist erst
recht nicht notwendig zu versuchen, je­
mand anderes zu sein. Man braucht keine
Fassade, spielt keine Rolle und tut nicht
so als ob. Eine solches Grunderleben –
man könnte auch sagen Urvertrauen oder
Selbstbewusstsein – ist bei vielen Men­
schen beeinträchtigt. Bei den einen nur
punktuell und in bestimmten Situationen
(zum Beispiel bei Kritik), bei anderen
sehr grundsätzlich und in so gut wie jeder
Lebenssituation. Es gibt nun unterschied­
lichste Strategien, mit dem Gefühl „Ich
bin nicht okay“ umzugehen. Die Psycho­
logie hat dafür sehr viele Beschreibungen
erarbeitet. Für die Zwecke dieses Beitrags
wird ein recht eingängiges Modell aus
der Transaktionsanalyse gewählt. Vertie­
fende Gedanken dazu sind in dem Buch
„Die Transaktionsanalyse: Eine Einfüh­
rung“ von Ian Stewart und Vann Joines
zu finden, das im Jahr 2000 im Freiburger
Herder Verlag veröffentlicht wurde. Die
Transaktionsanalyse liefert ein Modell, in
dem sich viele Menschen wiederfinden
und das keinen größeren psychologischen
Begriffsapparat notwendig macht (siehe
1.
Kompensationsstrategie „Wenn …“
Die milde, weil weniger nebenwirkungs­
reiche Form ist es, aus dem Satz „Ich bin
nicht okay!“ einen Konditionalsatz zu for­
men: „Ich bin okay, wenn ...!“. Das heißt,
man lernt als Kind, dass, wenn man be­
stimmte Verhaltensweisen an den Tag legt
(und andere aufgibt) – also Leistungen er­
bringt –, man positive Reaktionen bei an­
deren Menschen hervorrufen kann. Etwa
lernt man, wenn man sich zusammen­
reißt und die Eltern nicht braucht, dass
man dann nicht geschimpft wird. Oder es
ist immer dann alles gut, wenn man die
Wünsche der Eltern erfüllt und es ihnen
recht macht. Der gemeinsame Kern all
dessen ist jedoch, dass man nicht einfach
ist, wie man ist, sondern sich mit einem
bestimmten Verhaltensstil oder –schema
identifiziert. Wer also das grundlegende
Vertrauen und damit die elementare Le­
benssicherheit verloren hat, der versucht
die bestehende Verunsicherung mit den
erwünschten Verhaltensmustern zu kom­
pensieren.
Wer als Person nicht erwünscht ist, der
liefert erwünschtes Verhalten. Das geht
so lange gut, solange man das entspre­
chende Verhalten an den Tag legen kann.
Das gelingt jedoch dauerhaft niemandem:
Das wäre zu anstrengend, braucht zu viel
Selbstkontrolle, man kommt selbst dabei
zu kurz, die Anerkennung dafür ist nicht
verlässlich und man weiß ja sowieso
nie genau, was die anderen nun genau
erwarten. Zudem – im Hintergrund lau­
ert immer das Gefühl, man sei nicht in
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