WIRTSCHAFT UND WEITERBILDUNG 5/2018 - page 24

titelthema
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wirtschaft + weiterbildung
05_2018
haben, zu entsprechen. Sie lernen, die er­
wünschte Fassade, die erwünschte Identi­
tät zu präsentieren und identifizieren sich
alsbald selbst damit. Nun ist es wichtig,
etwas oder jemand zu „werden“ und
nicht mehr der zu „sein“, der man ist.
Die Not, die herrscht, ohne dass die Be­
troffenen es wissen, besteht in der feh­
lenden Antwort auf die Frage „Wer bin
ich?“. Die stattdessen leitende Frage „Wer
muss ich sein?” ist bezogen auf die Um­
welt. Man orientiert sich an einem Ideal
(zum Beispiel schön, erfolgreich, reich,
umschwärmt, klug oder beeindruckend)
und versucht dieses Ideal vor Kritik und
Angriffen zu schützen. So sind solche
Menschen leicht kränkbar, weil ja alles
von der Aufrechterhaltung des Scheins
abhängt. Weil sie sich selbst so großartig
finden, glauben sie mehr Rechte als an­
dere zu haben. All das bewirkt nun häu­
fig eine eindrucksvolle tragische Entwick­
lung. In Organisationen sind die Fähigkei­
ten solcher Menschen mehr als gefragt:
Sie können leicht neue Wege gehen, sie
sind gut in der Außendarstellung, haben
Visionskraft, stellen hohe Leistungsanfor­
derungen an sich und an andere, können
Aufbruchsstimmung verbreiten und sind
hart in der Durchsetzung von Entschei­
dungen. Die narzisstische Überlebens­
strategie begünstigt kaum etwas so sehr
wie Karriere.
Doch dies hat – zunehmend öfter und
wahrscheinlicher – kein Happy End.
Warum? Zum einen zieht die Orientierung
an Idealen und Zielen (schneller, größer,
mächtiger) Realitätsverlust, Abschottung
nach außen und das Sich-Umgeben mit
Jüngern und Anhängern nach sich. Dies
macht unvorsichtig, es ignoriert Grenzen,
es unterschätzt Gegner und – am wich­
tigsten – es überschätzt die eigene Unver­
wundbarkeit. Daher ist es insbesondere
unter komplexen und dynamischen Um­
weltbedingungen wahrscheinlich, dass
es zu einem narzisstischen Zusammen­
bruch kommt. Dieser Zusammenbruch
kann sich innerlich ereignen: Plötzlich
wird alles sinnlos. Man hat alles erreicht,
man hat keinen Spaß mehr an dem, was
man sich für Geld kaufen kann, die Men­
schen, die man nicht kaufen kann (wie
Kinder), verlassen einen oder man hat
keinen inneren Bezug zu ihnen, die Ah­
nung der eigenen Einsamkeit wird größer
und die Depression schleicht sich zwi­
schen die Ritzen des Erfolgs. Der äußere
Zusammenbruch tritt ein, weil der Erfolg
ausbleibt, weil Gesetzeswidrigkeiten auf­
gedeckt werden, private Beziehungen
scheitern, Suchtthemen überhand neh­
men oder Krankheiten auftreten, die
mit der bekundeten Großartigkeit nicht
zusammenpassen. Ohnmacht, Isolation,
Fall aus hohen Positionen in die Bedeu­
tungslosigkeit oder irreversible Rufschä­
digungen führen dann zum Burn-out. Die
Welt blickt hinter die Fassade und dann
fällt auf, dass da nichts ist! So kommt
auch die narzisstische Strategie zuneh­
mend in die Krise der Götterdämme­
rung, weil sich moderne Organisationen
mit dem heroischen Modell nicht mehr
führen lassen und die Öffentlichkeit der
Grandiosität zunehmend misstraut. Zu
viele „Manager des Jahres“ hat man aus
hoher Fallhöhe scheitern sehen. Beide
psychologischen Überlebensstrategien,
die mit Scheinerzeugung arbeiten – kein
Schmerz oder keine Schwäche – funkti­
onieren nicht mehr so wie früher in Or­
ganisationen. So häufen sich die Zusam­
menbrüche und der Druck für die Men­
schen in Organisationen, sich wirkliche
seelische Gesundheit zu erarbeiten, ist
hoch wie nie. Die gängigen neurotischen
Mechanismen passen nicht mehr gut zu
den gängigen Organisationen. So macht
es Sinn, abschließend einige Hinweise
zu geben, woran seelische „Gesundheit“,
besser eine „stabile seelische Selbstregu­
lation“, zu erkennen ist.
Teil D:
Gelingende seelische
Selbstregulation in
Organisationen
Im Kontext Organisation kann man die
Kennzeichen seelischer Autonomie und
Selbstregulation im Grunde an ein paar
einfachen Faktoren erkennen. Die fol­
gende Liste lässt sich auch als kleine
„Selbstprüfung“ nutzen und man kann
reflektieren, an welchen Stellen man
selbst innerlich fragil wird und von güns­
tigen Umweltbedingungen abhängig ist.
Man bemerkt das Vorhandensein see­
lischer Autonomie an folgenden Phäno­
menen:
• Man kann sich selbst trösten, wenn
etwas schiefgegangen ist, weil man Be­
dauern spürt, statt mit sich ins Gericht
zu gehen oder sich mehr oder weniger
heftige Vorwürfe zu machen.
• Man kann sich selbst verzeihen, weil
man sich nicht auf Fehlerfreiheit fest­
gelegt hat und davon der Selbstwert
abhängt.
• Man wird nicht schnell defensiv, weil
man sich ohne Stress für eigene Fehler
interessieren kann.
• Man kann klare Grenzen setzen, weil
man innerlich Grenzen spürt und daher
nicht so gefährdet ist, Ja zu sagen, wo
man ein „Nein“ empfindet. Wer sich
stattdessen „abgrenzen“ muss, hat
meist die inneren Grenzen ignoriert
und versucht zu spät, noch etwas zu
retten.
• Man kann abschalten, weil man eigent­
lich nicht abschalten muss, sondern
schlicht nach der Arbeit andere Im­
pulse in sich wahrnimmt. Dadurch ist
man innerlich mit anderem beschäftigt
und erholt sich so und hat den nötigen
Ausgleich.
• Man gibt dem Erreichen von beruf­
lichen Zielen keine exklusive Bedeu­
tung, weil der eigene Selbstwert nicht
an das Erreichen äußerer Ziele gekop­
pelt ist. Diese sind wichtig und es mag
traurig sein, wenn etwas nicht gelingt,
aber wer innerlich frei ist, wird immer
alternative Möglichkeiten entdecken
können, die die eigenen Fähigkeiten
fordern und entwickeln.
• Man richtet die beruflichen Ziele an
Selbstwirksamkeit und nicht an Fe­
tischen aus. Damit ist gemeint, dass
primäre Ziele – wie die Welt zu gestal­
ten und eigene Talente zu nutzen – mo­
tivieren und nicht Ersatzbedürfnisse
wie Macht, Geld oder Bewunderung.
Fazit:
Intakte und gesunde seelische
Selbstregulation ist für ein gedeihliches
Leben in Organisationen zunehmend
unabdingbar. Organisationen nutzen die
psychischen Überlebensstrategien ihrer
Mitarbeiter „geschickt“ aus. Mitarbeiter
mit offenen seelischen Flanken kom­
men daher immer leichter, früher, inten­
siver und nachhaltiger in Krisen. Egal ob
Wirtschaftsorganisationen, Schulen und
Universitäten, Behörden oder NGOs – nir­
gendwo existieren mehr stabile, sichere,
einfache und unkomplizierte Verhält­
nisse. So werden die einen ungünstigen
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