wirtschaft + weiterbildung
09_2018
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nicht. Stattdessen wird der Druck auf den
„Kessel“, teils auch getrieben durch die
immer unersättlicher werdenden Finanz-
märkte, weiter erhöht, mit der Konse-
quenz, dass das Betriebsklima stets rauer
wird. Zugleich wird jedoch betont: „Wir
brauchen intrinsisch motivierte Mitarbei-
ter, die sich mit dem Unternehmen iden-
tifizieren und sich eigeninitiativ und -ver-
antwortlich für das Erreichen der Ziele
des Unternehmens engagieren.“ Doch
woher sollen diese kommen, wenn die
Mitarbeitern zugleich registrieren: „Wir
sind eigentlich nur noch Human-Kapital,
das je nach Bedarf auf- und abgebaut
sowie eingesetzt wird.“ Wenn Mitarbeiter
diesen Widerspruch spüren, dann gehen
sie zu Recht emotional auf Distanz zum
Unternehmen, und ihre Handlungsma-
xime lautet wie bei den Kapitalgebern:
Wie ziehe ich aus der Beziehung den
größten Profit?
Menschen sollten
Wertschätzung spüren
Wenn in den offiziellen Verlautbarun-
gen der Unternehmen immer wieder von
einem partnerschaftlichen, von wechsel-
seitigem Respekt geprägten Umgang mit-
einander gesprochen wird, dann müssen
die Mitarbeiter dies auch im Betriebs
alltag spüren. Dann ist es schlicht ein
No-go, dass ein altgedienter Mitarbeiter
ohne ein Wort des Dankes in den Ruhe-
stand entlassen wird. Denn dann denken
alle verbleibenden Mitarbeiter: „Dieses
Schicksal droht mir auch einmal.“ Dann
ist ebenso ein No-go, dass eine Führungs-
kraft, wenn eine Fachkraft in einem Mee-
ting sachlich begründete Einwände arti-
kuliert, diese nicht ernst nimmt und vor
der versammelten Mannschaft maßregelt.
Denn dann denken alle Anwesenden:
„Ich halte künftig besser meinen Mund.“
Und dann ist es auch ein No-go, dass
eine Führungskraft, wenn sie von einem
Mitarbeiter kurzfristig Mehrarbeit und
Überstunden erwartet, ihm dies einfach
per Mail mitteilt, statt sich vom Stuhl zu
erheben und dies dem oder der Betroffe-
nen persönlich zu sagen. Denn ansonsten
denken alle Mitarbeiter, die davon erfah-
ren: „Meine beziehungsweise unsere per-
sönlichen Interessen, Ziele und Verpflich-
tungen interessieren hier offensichtlich
niemand. Warum soll ich mich dann für
das Unternehmen – mehr als es mir nützt
– engagieren?“ Entsprechend reagieren
die Mitarbeiter, wenn ihre Führungskraft,
weil sie etwas möchte, plötzlich an das
Wir appelliert. „Wir sollten ...“, „Wir
wollen...“, „Wir müssen ...“ Dann sagen
zwar alle mit den Lippen ja, und täu-
schen das gewünschte Engagement vor,
doch faktisch denken sie: „Und was habe
ich davon? Die können mich mal.“
Auf die scheinbaren
Kleinigkeiten achten
Denken Sie als Führungskraft daran bei
Ihrer Führungsarbeit: Wie viel Respekt
und Wertschätzung Sie Ihren Mitarbei-
tern entgegenbringen, zeigt sich für diese
in vielen (scheinbaren) Kleinigkeiten. Es
zeigt sich unter anderem darin,
• wie viel Zeit Sie sich für Ihre Mitarbei-
ter nehmen und wie aufmerksam Sie
ihnen zuhören,
• wie kompromissbereit Sie bei Inter-
essengegensätzen und Zielkonflikten
zwischen Ihnen und Ihren Mitarbeitern
sind,
• wie Sie auf Fehler und Versäumnisse
von ihnen reagieren.
Denn sonst ist die Gefahr groß, dass Sie
irgendwann nur noch von Opportunisten,
Ja-Sagern und Egoisten umgeben sind,
die Engagement für die Bereichs- und
Unternehmensziele zwar heucheln, aber
nicht zeigen.
Oft plädieren Manager dafür, mit den Mit-
arbeitern Klartext zu reden und diese mit
mehr Konsequenz zu führen. Meine Er-
fahrung ist: Klartext-Redner vertragen sel-
ten Klartext. Selbst auf eine sachlich be-
gründete kritische Rückmeldung reagiert
„Ihre Majestät“ beleidigt – zumindest
wenn sie von aus ihrer Warte „Untergebe-
nen“ kommt. Denn viele Manager haben
noch stark das hierarchische Denken
verinnerlicht. Zudem sind sie eher Ma-
terialisten als Idealisten. Das heißt, statt
sich intrinsisch motiviert zum Beispiel
für mehr Qualität bei der (Zusammen-)
Arbeit zu engagieren, jagen sie primär
Statussymbolen hinterher – wie Titeln,
öffentlicher Anerkennung und Luxuska-
rossen. Ich bin überzeugt: Unternehmen
können nicht darauf verzichten, dass ihre
Mitarbeiter klar – also offen und angst-
frei – miteinander reden und die nötige
Konsequenz in ihrem Handeln zeigen.
Auf selbstverliebte Klartext-Redner und
machtverliebte Führer hingegen schon.
Denn sie sind Repräsentanten einer alten
(Führungs-)Kultur, die im digitalen Zeital-
ter nicht mehr zielführend ist.
Dr. Albrecht Müllerschön