wirtschaft + weiterbildung
09_2018
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Doch kann man dies Jogi Löw vorwerfen?
Erneut nein! Denn mir fällt – wie anschei-
nend auch allen Fußball-Experten – kein
deutscher Spieler ein, der diese Rolle
beziehungsweise vakante Position hätte
übernehmen können. Doch daran ist
nicht Jogi Löw schuld. Er kann als Natio-
naltrainer nur aus dem Pool der vorhan-
denen Spieler auswählen und versuchen,
daraus das Beste zu machen. Das heißt:
Die Fehler wurden, wenn überhaupt, be-
reits weit im Vorfeld der WM bei der Ta-
lentförderung gemacht. Der Verdacht liegt
zumindest nahe, dass aufgrund des von
den Top-Clubs in der Bundesliga weitge-
hend praktizierten, am Ballbesitz orien-
tierten Tiki-Tika-Spiels auch primär ein
bestimmter Spieler-Typ gezüchtet wurde
– nämlich der des technisch versierten
Schönspielers. Und allen jungen Talen-
ten, die zum Beispiel die Veranlagung
zum „Stoßstürmer“ oder „kämpfenden
Ackergaul“ hatten, die fielen entweder
durchs Raster oder die „Ecken und Kan-
ten“ wurden ihnen abtrainiert. Deshalb
standen diese Spieler-Typen Jogi Löw
nicht zur Verfügung. Ähnliche Tenden-
zen entdeckt man häufig in der Perso-
nalentwicklung und Talentförderung von
Unternehmen – denn auch sie unterliegt
Moden und Trends. So vergaßen in den
letzten Jahren nicht wenige Unterneh-
men, dass sie auch „fleißige Bienen“ zum
Abarbeiten brauchen – ein Grund, warum
sie heute oft über einen Mangel an qua-
lifizierten Fachkräften klagen. Ebenso
vergessen zurzeit viele Unternehmen bei
ihrer Führungskräfteentwicklung, dass
sie neben „Leadern“ auch Manager und
fachlich versierte Vorgesetzte brauchen –
Führungspersönlichkeiten, die diese drei
Führungsrollen in ihrer Person vereinen.
Denn nur dann können sie ihre Führungs-
mannschaft top-down so zusammenset-
zen, dass Veränderungsvorhaben nicht
nur initiiert, sondern auch konsequent
und nachhaltig umgesetzt werden.
Löws Autorität wird leiden
Die entscheidenden Fehler bezogen auf
die Nationalmannschaft wurden also be-
reits vor der WM in Russland gemacht
und zwar bei der Talentförderung und
-entwicklung – jedoch nicht von Jogi Löw
und Oliver Bierhoff. Dies ist zumindest
meine Meinung. Zwar haben auch die
beiden gewiss taktische Fehler gemacht,
doch entscheidend waren diese nicht, da
sie nur auf die vorhandenen Spieler zu-
rückgreifen konnten. Trotzdem wird Jogi
Löw in absehbarer Zeit seinen Hut als
Bundestrainer nehmen müssen. Denn an
ihm haftet nun der Makel des Scheiterns.
Entsprechend kritisch werden künftig alle
Äußerungen und Handlungen von ihm
beäugt und von dem hysterischen Bou-
levard kommentiert werden. Und beim
kleinsten Lapsus wird der Ruf „Löw muss
weg“ laut werden. Nicht weil er versagt
hat, sondern weil unter diesem Druck
von außen auch seine Autorität als Bun-
destrainer leidet, sollte Jogi Löw freiwillig
den Hut nehmen. Denn glücklich wird er
in dieser Funktion nie mehr. Dafür steht
er seit dem WM-Aus zu stark im Schuss-
feld der Öffentlichkeit.
Hans-Peter Machwürth
„Anscheinend war das Feuer erloschen ...“
„Wie hilflos und überrascht der Bundestrainer Jogi Löw
nach dem WM-Aus gegen Südkorea war, gegen das schon
ein kümmerliches 1:0 zum Achtelfinale gereicht hätte,
war noch erschütternder als die sportliche Kapitulation
in Kasan. Und die hatte Torhüter Manuel Neuer mit dem
deutschen Satz des Turniers zusammengefasst: „Selbst
wenn wir jetzt weitergekommen wären, hätte jeder gerne
gegen uns gespielt.“ Zwölf Wörter genügten dem DFB-
Kapitän für die ultimative WM-Bankrott-Erklärung.“
Christoph Wolf, NTV-Kommentator, 15. Juli 2018
„Ich habe mich für einen Verbleib von Jogi Löw als Bundes-
trainer ausgesprochen. Warum? Aufgrund seiner Arbeit in
den letzten zwölf Jahren. Da hat die deutsche National-
mannschaft mit ihremOffensiv-Fußball Werbung in der gan-
zen Welt gemacht. Dass es jetzt Veränderungen braucht,
hat das Turnier gezeigt. Aber Löw ist ein Fachmann, er wird
es genau analysieren. Er wird sicherlich schauen, warum
(Presse-)Stimmen zur Fußball-WM 2018.
Viele Beobachter dachten, die deutschen Fußballer seien
eine Turniermannschaft, die erfolgreich sein werde, wenn es darauf ankomme. Nach dem frühen
Ausscheiden waren selbst gestandene Experten unsicher, wie es weitergehen soll. Einige Beispiele:
Frankreich und Kroatien erfolgreicher waren und daraus
die Lehren ziehen. Dafür ist er der richtige Mann.
Ottmar Hitzfeld, ehemaliger Fußballspieler und Fußball-
trainer, im Gespräch mit „Sport 1“ am 17. Juli 2018
„Die Arroganz, die Jogi Löw und die Nationalspieler nach
der Gruppenauslosung an den Tag gelegt haben, war
hanebüchen. Ich bin froh, dass sie früh ausgeschieden
sind, weil das Gesamtkunstwerk erbärmlich war.“
Ewald Lienen, Technischer Direktor des FC St. Pauli, im
TV-Sender „Sky“ am 26. Juli 2018
„Der Druck auf Bundestrainer Joachim Löw wird immens
ausfallen. Er hat ... das (in der Vergangenheit) erworbene
Vertrauen mit einer katastrophalen Gesamtleistung weit-
gehend verspielt. Eine vielversprechende Ausgangsbasis
für den notwendigen Umbruch ist das nicht.“
Oliver Hartmann, Chefreporter „Kicker“, 28. Juni 2018