Wirtschaft- und Weiterbildung 9/2018 - page 26

personal- und organisationsentwicklung
26
wirtschaft + weiterbildung
09_2018
Medien glauben darf, dafür, dass sich im
Kader zwei Fraktionen bildeten: hier die
Jungen, dort die Alten. Denn die Jungen
fragten sich zu Recht: Nach welchen Kri-
terien erfolgt hier die Auswahl und Auf-
stellung? Nach der aktuellen Leistungs-
fähigkeit und -bereitschaft oder nach
den Verdiensten in der Vergangenheit?
Ähnliche Faktoren sorgen oft auch in Un-
ternehmen für eine ungute Stimmung.
Auch dort haben nicht selten alt-gediente
Mitarbeiter, die ihren Leistungszenit be-
reits überschritten haben, die zentralen
Schlüsselpositionen inne und blockieren
den Aufstieg und die Entfaltung der jun-
gen, noch hungrigen Hoffnungsträger.
Gerechtfertigt wird das Festhalten an den
Alten meist mit deren Erfahrung.
Dies wird von den Jungen so lange ak-
zeptiert, wie diese im Arbeitsalltag die
Erfahrung sammeln: Die „Alten“ bringen
noch eine Top-Leistung. Registrieren sie
jedoch oder haben sie den Eindruck „In
den zurückliegenden ein, zwei Jahren
habe ich eine deutlich bessere Leistung
erbracht (beziehungsweise ich könnte
diese erbringen, wenn ich nicht gebremst
würde)“, dann opponieren sie zumindest
innerlich gegen diese Rangordnung. Das
heißt, ihre Motivation sinkt, da ihre Leis-
tung in ihren Augen nicht angemessen
gewürdigt wird, und es brechen mehr
oder minder offen Grabenkämpfe aus, die
die Gesamtperformance mindern.
Falle 3:
Geringe Flexibilität
In allen drei Gruppenspielen der WM in
Russland war die deutsche Mannschaft
insofern die dominierende Mannschaft,
dass sie mehr Ballbesitz als ihre Gegner
hatte. Die Ursache hierfür war, das von
ihr weitgehend gepflegte Tiki-Tika- oder
Kurzpass-Spiel, bei dem die angreifende
Mannschaft den Ball (zuweilen gefühlt
endlos) durch ihre Reihen zirkulieren
lässt, mit dem Ziel,
• den Gegner zu ermüden
• irgendwann in die durch die perma-
nente Bewegung sich ergebenden Lü-
cken in dessen Abwehr zu stoßen.
Das Problem bei dieser Spielweise ist:
Die Spieler der angreifenden Mannschaft
müssen sehr ballsicher sein, sonst ist ihr
Spiel anfällig für Konterangriffe. Und:
Gegen konditionsstarke Gegner mit einer
guten Abwehr führt diese selten zum
Erfolg, da diese nicht ermüden. Extrem
gefährlich ist diese Spielweise speziell
dann, wenn die angreifende Mannschaft
unter einem hohen (Zeit-)Druck steht,
ein Tor zu erzielen – zum Beispiel weil
sie in Rückstand geraten ist oder wie das
deutsche Team im Südkorea-Spiel gewin-
nen muss. Denn dann werden die Spieler
nervös und hektisch und die Abspielfeh-
ler häufen sich. Dann wäre eine andere
Spielweise nötig. Das war irgendwann
eigentlich in allen deutschen Spielen der
Fall. Das Problem war nur: Hierfür fehl-
ten im deutschen Kader die passenden
Spieler. In ihm gab es zwar viele „Schön-
spieler“, die, wenn es läuft, brillieren,
jedoch keine Kämpfer-Typen, die, sofern
nötig, auch mal die Brechstange auspa-
cken, um das Ziel zu erreichen, und/oder
mit scheinbar unermüdlicher Energie den
Gegner attackieren.
Dem Phänomen, dass Teams zu eindi-
mensional zusammengesetzt sind und
deshalb nicht flexibel auf die jeweils ak-
tuelle Situation reagieren können, begeg-
net man auch in Unternehmen oft – zum
Beispiel in deren Vertrieb, weshalb dieser,
bildhaft gesprochen, zwar bei Schönwet-
ter im Markt brilliert, jedoch nicht an
Regentagen. Entsprechendes gilt für die
Führungsmannschaften von Unterneh-
men. Bestehen deren Führungsteams
nur aus visionären Vordenkern, haben
sie vielleicht die innovativste Strategie.
Damit diese jedoch die gewünschten
Früchte trägt, braucht es auch Macher,
die Vorhaben konsequent, notfalls auch
gegen Widerstände umsetzen. Dies gilt es
bei der Teamzusammenstellung auf allen
Ebenen zu beachten.
Falle 4:
Einseitige Talentförderung
Eine Fußballmannschaft besteht im We-
sentlichen aus drei Teilen: der Abwehr,
dem Mittelfeld und dem Angriff. Wel-
cher von diesen war bei der WM der
größte Versager? Die Abwehr? Nein! Die
Mannen um Mats Hummels und Jerome
Boateng taten ihr Bestes, um die aus Ab-
spielfehlern im Mittelfeld resultierenden
Konter der Gegner zu entschärfen. Sie
wurden dabei von den Schönspielern
im Mittelfeld um Samy Khedira jedoch
weitgehend im Stich gelassen, die sich
zu schade waren, auch Abwehrarbeit zu
leisten. Deshalb war die Abwehr zuwei-
len schlicht überfordert. Und Stürmer?
Gab es die außer dem Ergänzungsspieler
Mario Gomez im deutschen Spiel über-
haupt? Eigentlich nicht! Stattdessen stan-
den im Kader eine Überzahl von mehr
oder minder offensiven Mittelfeldspie-
lern. Ein Spieler wie ehemals Uwe Seeler,
Gerd Müller, Horst Hrubesch oder Rudi
Völler, der einen Ball notfalls auch mal
im Liegen mit dem Hintern ins Tor bug-
siert, fehlte im deutschen Kader ganz.
Doch kann man dies Jogi Löw vorwerfen?
Nein! Denn es gibt in ganz Deutschland
seit Jahren keinen echten Vollblutstürmer,
weshalb ja auch bei allen Bundesliga-Top-
Mannschaften der Sturm fast ausschließ-
lich aus Ausländern besteht.
Bei der WM 2014 in Brasilien gab es
im deutschen Spiel zudem noch einen
Spieler wie Bastian Schweinsteiger. Der
spielte im Endspiel sogar mit einer zwi-
schenzeitlich genähten Platzwunde
am Kopf weiter und rannte noch in der
Verlängerung wie ein Irrwisch auf dem
Spielfeld hin und her und räumte alles
aus dem Weg, was den deutschen Erfolg
gefährdete. Und seine ermüdeten Mitspie-
ler? Sie ließen sich von ihm mitreißen.
Bastian Schweinsteiger war für mich da-
mals der „Player of the Match“ und nicht
der erst in der 88. Minute eingewechselte
Schönspieler Mario Götze, der zufällig
das Siegtor schoss. Ein solcher Spieler
fehlte in Russland im deutschen Kader.
R
Hans-Peter
Machwürth
ist Geschäftsfüh-
rer des internati-
onal agierenden
Trainings- und Beratungsunterneh-
mens Machwürth Team International
(MTI Consultancy). Das Team wurde
mehrfach vom BDVT in unterschiedli-
chen Kategorien mit dem „Deutschen
Trainingspreis“ ausgezeichnet.
MTI – Machwürth Team
international
Dohrmanns Horst 19
27374 Visselhövede
Tel. 04262 9312-0
AUTOR
1...,16,17,18,19,20,21,22,23,24,25 27,28,29,30,31,32,33,34,35,36,...68
Powered by FlippingBook