training und coaching
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wirtschaft + weiterbildung
09_2018
der NLP-Gründer, Richard Bandler, soll
gesagt haben, ein Vorgehen ohne theo-
retische Basis sei oft viel effektiver und
führe schneller zum Ziel. Für den „Deut-
schen Verband für Neuro-Linguistisches
Programmieren“ (DVNLP) ist NLP dage-
gen eine „Disziplin im Bereich der Kog-
nitions- und Verhaltenswissenschaften“,
die uns bewusst mache, „wie wir unsere
Erfahrungen selbst generieren“.
Der ideologische Kern des NLP sei ein
Radikalkonstruktivismus, so Steinmeyer.
Verhalten und Können seien nicht Aus-
druck einer einzigartigen und weitgehend
unveränderbaren Persönlichkeit, sondern
die Persönlichkeit sei ein jederzeit repro-
duzierbares und beliebig veränderbares
Produkt bestimmter Kognitionsmuster.
Daher gebe es in der Welt des NLP grund-
sätzlich keine Opfer – es sei denn, sie ma-
chen sich selbst dazu. Ob Leid, Schmer-
zen, Armut oder Unglück – im NLP ist
das alles eine „frei gewählte Entschei-
dung“. Wem es daher schlecht gehe, der
habe zum Schaden auch noch den Spott,
weil er nicht fähig sei, sein Potenzial zu
nutzen.
Das führe so weit, dass Krankheiten als
Produkte eigener Kognitionen betrachtet
werden. Ernste Erkrankungen sind da-
nach „Äußerungen des Unbewussten,
die der Patient durch seine eigenen Denk-
strukturen selbst evoziert hat“. Auch von
DVNLP-zertifizierten Instituten werde
solcher Unsinn vertreten, kritisiert Stein-
meyer und belegt das mit Beispielen.
Dabei macht er beim NLP drei wesentli-
che Defizite aus:
1.
Die Tendenz zur Generalisierung. Na-
türlich gebe es die Subjektivität der Wahr-
nehmung und der eine sehe das Glas halb
voll, der andere halb leer. Dennoch bleibe
ein objektiver Gehalt der Wirklichkeit –
ein Glas mit Wasser. NLP leugne diese
Objektivität. Laut NLP-Mitbegründer Ro-
bert Dilts sei NLP „nicht limitiert“ und
würde daher Dinge ermöglichen, die
außerhalb jedes Vorstellungsvermögens
lägen.
2.
Ein zweites Defizit sei die Neigung
zu falschen Umkehrschlüssen. Unreife
Äpfel – egal welche Sorte – sind grün,
aber grüne Äpfel sind nicht immer unreif.
Natürlich könnten Krankheiten Folgen
seelischer Belastungen sein. Aber nicht
jede Krankheit habe immer nur mentale
Ursachen.
3.
Ein drittes Defizit sei der Irrtum, dass
unsere Gefühle stets unseren Gedanken
folgen und damit programmierbar seien
– eine abenteuerliche Vorstellung ange-
sichts der neurowissenschaftlichen Er-
kenntnisse: Danach entstehen Emotionen
im Gehirn und bringen unser Denken
hervor.
Trotz dieser erheblichen Schwächen sei
NLP längst flächendeckend verbreitet an
Schulen, bei Behörden und Unterneh-
men, in Kliniken und kirchlichen Ein-
richtungen und sogar an Hochschulen.
Und es ist – laut DVNLP – auch für alle
geeignet, vom Vorstand über den Arzt
bis zum Pfarrer, Sportler oder Schrift-
steller und Schüler. „Der Griff nach der
ganzen Gesellschaft erinnert mehr an ein
fundamentalistisches religiöses Glaubens-
system als an eine seriöse Methodik“, so
Steinmeyer.
Wo sind Schnittstellen zur
Esoterik?
Die Ideologie der absoluten Selbstver-
antwortung ist für den Autor auch die
zentrale Schnittstelle zum Weltbild der
Esoterik. Eine Affinität vieler (auch vom
DVNLP zertifizierter) NLP-Vertreter zur
Esoterik sei nicht ernsthaft zu bestreiten.
R
Uwe Kanning.
Er ist
seit 2009 Professor
für Wirtschafts
psychologie an
der Hochschule
Osnabrück und
Experte für frag
würdige Methoden
der Personalarbeit.
Foto: Pichler
Buchtipp.
„Die Seelenpfuscher“ von
Heike Dierbach (Rowohlt, Reinbeck 2009)
enthält unter anderem auf 12 Seiten eine
fundierte Kritik an „The Work“.
Buchtipp.
„Smile or Die“ erschien auf
deutsch bei Kunstmann (München 2010).
Auf 254 Seiten wird nachgewiesen, wem
und wie Seligmans Psychologie schadet.