Wirtschaft- und Weiterbildung 9/2018 - page 39

wirtschaft + weiterbildung
09_2018
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Steinmeyer: Dieses „The Work“ ist wirk-
lich der Gipfel. Danach muss man alles
lieben, egal ob Mord, Unglück, Krankheit,
Terror oder Tod. Und wer darunter leidet,
der leidet nur unter seinen „unwahren
Gedanken“. Als ich die Bücher von Byron
Katie gelesen habe, dachte ich mir, das
ist so absurd und menschenverachtend,
dass es gar nicht in meine Untersuchung
reingehört. Aber dann habe ich recher-
chiert, wo das überall auftaucht. Das
reicht von Arbeitsagenturen über Volks-
hochschulen, Parteistiftungen und Schu-
len bis zur Universität Mannheim. Und
auch auf DVNLP-Kongressen sind zerti-
fizierte „The-Work-Trainer“ aufgetreten.
Und wenn man sich die Referenzlisten
der Coachs anschaut, scheint es auch in
den Unternehmen inzwischen angeboten
zu werden. Dann habe ich mir gedacht:
Wenn das so verbreitet ist, gehört es doch
in mein Buch.
Vielen dürfte „The Work“ bisher gar nicht
bekannt sein ...
Steinmeyer: Mein Eindruck ist, dass „The
Work“ in Deutschland in den letzten Jah-
ren enorm expandiert ist. Aber erstaunli-
cherweise findet man auf Deutsch kaum
etwas Kritisches dazu. Die Psychologin
Heike Dierbach hat in ihrem 2009 erschie-
nen Buch „Die Seelenpfuscher“ ein sehr
kritisches Kapitel dazu geschrieben. Und
dann gibt es noch eine sehr vernichtende
Amazon-Rezension zu Byron Katies Buch
von einem Peter Wurst. Er bezeichnet
„The Work“ als eine „ganz hinterhältige
Form der Pseudotherapie“, die Menschen
„absichtlich verblendet und sie daran
hindert, die wirklichen Ursachen ihres
Leidens zu erkennen“. Aber das war es
auch schon. Auf Englisch gibt es deutlich
mehr Kritik.
Was ist mit der „Positiven Psychologie“?
Was kritisieren Sie daran?
Steinmeyer: Die erscheint mir erst einmal
etwas seriöser. Das Thema ist auch an
Universitäten angesiedelt. Mein Eindruck
ist allerdings, dass das wissenschaftlich
oft relativ dünn ist. Wenn man sich so
manche Tests anschaut, dann fragt man
sich schon, ob nicht schon durch die
Strukturierung der Fragen die Richtung
der Antworten vorgegeben wird. Auffal-
lend ist auch der enge Bezug zu Religion,
jedoch ohne den Kontext zu berücksich-
tigen. Da wird dann etwa gefragt, wie oft
man betet. Dabei dürften Fundamentalis-
ten vermutlich viele Punkte bekommen
und wären dann besonders charakter-
starke Persönlichkeiten. Verwunder-
lich ist der enge religiöse Bezug nicht.
Schließlich sagt man auch dem Gründer
der „Positiven Psychologie“, Martin Selig-
man, eine Affinität zu den sogenannten
religiösen Rechten in den USA nach.
Also mehr Ideologie als Wissenschaft?
Steinmeyer: Ja, da werden zumindest
zum Teil ideologische Inhalte in eine wis-
senschaftliche Form gegossen. Ich finde
es auch sehr fragwürdig, Glück wissen-
schaftlich festlegen zu wollen. Glück
kann für den Einzelnen sehr individuell
sein. Zudem ist der Glücksbegriff sehr
stark ökonomisch konnotiert. Arbeit als
Erwerbsarbeit wird eine sehr hohe Be-
deutung für Glück zugeschrieben. So
etwas wie die Seele baumeln zu lassen
oder Müßiggang kommt nicht vor.
Welche Gemeinsamkeiten sehen Sie bei
den drei Methoden?
Steinmeyer: Die haben alle eine ähnliche
Grundrichtung und propagieren alle die
Vorstellung, dass der Einzelne immer und
Foto: Pichler
Dr. Georg Steinmeyer.
Der Wissen-
schaftler lebt und arbeitet in
Berlin. Wegen der Rekordhitze
im Juli wurde der Fototermin vom
Büro ins Freie verlegt.
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