wirtschaft + weiterbildung
09_2018
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Dafür spreche auch die Tatsache, dass
auf den DVNLP-Kongressen mehrfach
Anhänger der explizit esoterischen Coa-
ching-Methode „The Work“ auftraten.
Wie der Würzburger Psychologieprofes-
sor Christoph Bördlein sieht Steinmeyer
daher im NLP „ein Glaubens- und Welt-
anschauungssystem, das esoterische
Züge trägt und typische Kennzeichen
einer Selbsterlösungsreligion aufweist“.
Während die „Positive Psychologie“ und
NLP vielen bekannt sein dürften, ist der
Esoterik-Ansatz „The Work“ von Byron
Katie noch relativ unbekannt, aber seit ei-
niger Zeit auf dem Vormarsch. Natürlich
proklamiere auch „The Work“ für sich
„absolute weltanschauliche Neutralität“.
Es handele sich weder um eine politische
noch eine religiöse noch eine esoterische
Lehre, sondern um eine einfache Technik,
die für jeden Menschen geeignet sei, be-
tont die amerikanische Erfinderin Byron
Katie.
Ursprung ist eine angeblich wundersame
Heilungserfahrung einer Lehrerin na-
mens Kathleen Reid, die unter Depres-
sionen litt und eines Morgens plötzlich
„in der Realität“ erwachte und erkannte,
dass die Ursache für ihre Depressionen
nicht die Welt um sie herum war, son-
dern nur ihre Überzeugungen über die
Welt. Die radikale Konversion erinnere
an Erleuchtungs- und Bekehrungserleb-
nisse bei Evangelikalen, bei denen es
zu einer blitzartigen Umkehrung ihres
gesamten bisherigen Glaubens- und
Überzeugungssystems gekommen sei,
schreibt Steinmeyer. Hinter „The Work“
steht die radikale Grundüberzeugung: So
wie die Welt aktuell ist, ist sie immer in
Ordnung. Krankheit, Folter, Missbrauch –
alles ist daher gut. Das Problem ist nur,
dass wir das nicht akzeptieren, sondern
glauben, es solle anders sein. Bei dieser
Denkstruktur von „The Work“ kann es
logischerweise keine Opfer geben. Die
Verantwortung für alles Leid liegt daher
nie bei einem äußeren Ereignis oder
Täter, sondern immer nur bei dem Lei-
denden selbst. „Wir projizieren, dass in
dieser Welt schreckliche Dinge passieren.
Aber das Einzige, was passiert, sind un-
sere Glaubenssätze darüber“, lautet ein
Byron-Katie-Zitat.
Zentrale Kennzeichen des Systems sei
die Ablehnung jeden Maßstabs von Gut
und Böse, Richtig oder Falsch, Recht und
Unrecht. Damit entfalle auch jegliche
moralische Dimension. „Wer liebt, was
ist, sieht allem freudig entgegen…. Tod,
Krankheit, Verlust, Erdbeben, Bomben“,
so Byron Katie. In den „Coachings“ müs-
sen Missbrauchsopfer dann den Satz „Ich
freue mich darauf, missbraucht zu wer-
den.“ bilden. Das „Coaching“ basiert auf
einer Scheinfrage-Technik, bei der dem
Klienten vier Fragen gestellt werden, die
stets zu dem vorher feststehenden Ergeb-
nis führen: Der Klient ist sein eigener Pei-
niger und selbst Verursacher seines Leids.
Unterscheidung von Gut und
Böse aufgeben?
In einem Video, das manche „The-Work-
Coachs“ nach den Terrorangriffen vom
November 2015 in Paris als „wunderba-
ren Beitrag“ auf ihren Homepages poste-
ten, hat laut Steinmeyer Byron Katie ihre
Weltanschauung so dargestellt: Nicht die
Terroristen verbreiteten eigentlich Gewalt
in der Welt, sondern wir selbst – weil wir
den ungeprüften Gedanken glaubten,
dass Terroranschläge etwas Schlechtes
seien. Solange wir an diesem Glauben
festhielten und nicht endlich jede Unter-
scheidung von Gut und Böse aufgäben,
seien wir selber Gewalttäter. Es dränge
sich die Frage auf, ob es sich bei den
„The Work“-Interventionen überhaupt
noch um Coaching handele oder ob man
es hier mit einer sektenhaften Methodik
zu tun habe, so Steinmeyer. Er zählt neun
generelle Kennzeichen von Sektenstruk-
turen auf, deren Relevanz für „The Work“
sich zumindest zum erheblichen Teil
kaum bestreiten lässt.
Längst hat auch „The Work“ Einzug in
systemrelevante Bereiche wie Bildungs-
einrichtungen, Behörden und Unter-
nehmen gehalten. Angeboten wird die
Methode auch an Volkshochschulen,
Industrie- und Handelskammern, Ar-
beitsagenturen, Jobcenter, Schulen, Uni-
versitäten und in kirchlichen Einrichtun-
gen sowie über entsprechend agierende
Coachs auch in Unternehmen. Sogar
an der Universität Mannheim wird im
Bereich Pädagogische Psychologie ein
Coaching mit der „The Work-Methode“
unter dem wissenschaftlicher klingen-
den Namen IBSR (Inquiry-Based Stress
Reduction) angeboten, harmlos beschrie-
ben als „pädagogisch-psychologische Fra-
getechnik“. Dabei macht die akademische
Mitarbeiterin mit Jura-Abschluss und Ba-
chelor in Psychologie keinen Hehl daraus,
dass sie als Coach bei „The Work“ ausge-
bildet wurde.
Zurück zum anfangs erwähnten „Institut
für angewandte Positive Psychologie“.
Dort heißt es, „The Work“ sei eine „ein-
fache und gleichzeitig radikale Methode,
stressvolle Überzeugungen zu entdecken
und zu untersuchen“ und bewirke „sehr
häufig radikale Veränderungen des eige-
nen Erlebens und Verhaltens“. Instituts-
gründer Ralf Giesen ist nicht nur Lehrtrai-
ner und Lehrcoach beim DVNLP, sondern
auch Gründungsvorstand des „Verbands
für The Work of Byron Katie (VTW)“.
Dessen Coach-Siegel tragen laut Website
bereits mehr als 200 Coachs.
Bärbel Schwertfeger
Martin Seligman.
Er ist
Professor für Psychologie
an der University of
Pennsylvania und Pionier der
„Positiven Psychologie“.
Foto: J. Countess / getty images