training und coaching
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wirtschaft + weiterbildung
09_2018
unabhängig von äußeren Voraussetzun-
gen die Ressourcen dafür hat, seinen Er-
folg und sein Glück selbst herzustellen.
Wer keinen Erfolg hat, ist selbst schuld.
Das läuft auf ein sozialdarwinistisches
Menschenbild hinaus. Zum Teil ste-
hen die Menschen dabei schon so unter
Druck, dass sie ihre Gefühle und inners-
ten Lebenseinstellungen nach der ökono-
mischen Verwertbarkeit richten.
Glauben Sie, dass die Coachs wissen,
was sie tun?
Steinmeyer: Vielen wird vermutlich gar
nicht bewusst sein, was sie da eigentlich
propagieren und welche Ideologie dahin-
tersteht. Coachs, die mit den Methoden
arbeiten, sollten sie daher kritisch hinter-
fragen. Andere haben entdeckt, dass sich
mit psychologischem Populismus gut
Geld verdienen lässt. Dabei ist mir auch
der von vielen Coachs genutzte Begriff
des „Energievampirs“ aufgefallen.
Was hat es damit auf sich?
Steinmeyer: Da geht es um Menschen, die
anderen angeblich die Energie rauben. So
empfiehlt Bertelsmann-Manager Nico
Rose zum Beispiel, seine Kollegen in drei
Kategorien einzuteilen. „A“ für positiv
nutzbar für die eigene Stimmung, „B“ für
neutral und „C“ für stimmungsmindernd.
Zu den C-Kollegen solle man den Kontakt
möglichst abbrechen, um seinen eigenen
Erfolg zu steigern. Das klingt für mich
fast schon wie eine Anleitung zum Mob-
bing. Noch unerträglicher ist es, wenn der
Gründer des Seminar- und Kongressver-
anstalters „Gedankentanken“ und Moti-
vationstrainer, Stefan Frädrich, in einem
– inzwischen gelöschten – Video diese
„Energievampire“ mit Zecken und Para-
siten vergleicht.
Welche Empfehlungen haben Sie für die
Coaching-Szene?
Steinmeyer: Das klingt jetzt vielleicht
etwas arrogant, aber ich wünsche mir
eine stärkere Kultur der Selbstbeschrän-
kung und mehr Bewusstsein für die Gren-
zen der eigenen Profession. NLP ist eben
nicht für alle und alles geeignet. Und wer
unter einem echten Burnout leidet, ge-
hört in die Psychotherapie und nicht zum
NLP-Coach.
Welchen Rat haben Sie für Klienten?
Steinmeyer: Sie sollten sich den Auftritt
eines Coachs sehr genau anschauen. Sie
sollten darauf achten, dass die Wertvor-
stellungen von Coach und Klient gleich
oder zumindest ähnlich sind. Sonst
kommt es schnell zu einem Machtgefälle
zuungunsten des Klienten. Coachs sollten
Menschen nicht zur Anpassung, sondern
zum eigenständigen Denken ermutigen
und dabei auch bereit sein, in den Kon-
flikt zu gehen. Das wird zwar oft behaup-
tet, aber in der Praxis geht es dann nur
darum, die eigenen Glaubenssätze der
manchmal unerträglichen Realität anzu-
passen.
Fehlt es nicht generell an einer
gründlichen Aufklärung?
Steinmeyer: Auf jeden Fall. Es wäre wich-
tig, gerade im Bildungsbereich, zum Bei-
spiel auch schon an den Schulen, solche
Selbstmanagementmethoden einmal kri-
tisch zu analysieren. Auch Personalmana-
ger müssen ein kritischeres Bewusstsein
dafür entwickeln, was sie ihren Mitar-
beitern anbieten. Oftmals hören sich die
Versprechen der Coachs gut an und viele
haben dann keine Zeit, genauer hinzu-
schauen. Ich habe den Eindruck, dass
generell das Bewusstsein dafür fehlt, dass
es sich bei solchen Coaching-Methoden
um Interventionen handelt, die massiv
ins Wertgefüge und die psychische Identi-
tät von Menschen eingreifen.
In Ihrem Buch kritisieren Sie auch die
gesellschaftlichen Folgen der drei
Methoden. Wo sehen Sie diese?
Steinmeyer: Man muss sich einfach klar
machen, dass die Methoden den bereits
vorhandenen Trend zu einer Gesellschaft
von Einzelkämpfern weiter fördern. Denn
sie propagieren ja, dass es jeder allein
schaffen muss. Doch ob es die Gestal-
tung der Digitalisierung nach menschli-
chen Maßstäben, die Überwindung der
zunehmenden sozialen Spaltung der
Gesellschaft oder die Entwicklung einer
humanen Antwort auf das Flucht- und
Zuwanderungsthema ist, all das kann ein
Einzelner nicht bewältigen, sondern nur
die Gesellschaft gemeinsam.
Sie schreiben auch, dass sich solche Coa-
chings „als Instrument einer Entdemo-
kratisierung des Denkens“ entpuppen.
Ist das nicht ein bisschen übertrieben?
Steinmeyer: Wenn man gesellschaftlich
etwas verändern will, muss das schritt-
weise erfolgen und vor allem muss man
sich zunächst einmal die Fehlentwick-
lungen bewusst machen. Alle drei Rich-
tungen sind für mich Methoden, die kri-
tisches Denken abblocken. Wenn man
alles liebt, was ist – wie es vor allem „The
Work“ propagiert –, dann arrangiert man
sich auch mit den schlimmsten Missstän-
den. Und wozu brauchen wir noch ein
Gesundheits- und Bildungssystem oder
die Polizei, wenn angeblich jeder selbst
verantwortlich ist, dass er krank wird,
keine gute Ausbildung hat oder vergewal-
tigt wird?
Interview: Bärbel Schwertfeger
R
Buchtipp.
Georg Steinmeyer:
„Die Gedanken sind nicht frei. Coaching:
eine Kritik“, Lukas Verlag, Berlin 2018,
284 Seiten, 19,80 Euro
„Bestimmte Coaching-Methoden fördern den
bereits vorhandenen Trend zu einer Gesellschaft
von Einzelkämpfern.“