training und coaching
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wirtschaft + weiterbildung
09_2018
Wie sind Sie weiter vorgegangen?
Steinmeyer: Ich habe zuerst NLP-Bücher
und Lehrbücher und auch Kritiken von
den Experten für die Psychoszene,
Hansjörg Hemminger, von Professor
Uwe Kanning und von Robert Jansen
gelesen. Mein Eindruck war, dass NLP
eine sehr vereinfachte Auffassung von
Kognitionsprozessen ist. Dann habe
ich mir Websites von etlichen Coachs
angeschaut und da kam häufig auch die
„Positive Psychologie“ und „The Work“
von Byron Katie vor. So hat sich eins
aus dem anderen ergeben und ich habe
die drei Methoden genauer unter die
Lupe genommen und dabei vor allem
folgende zwei Aspekte betrachtet: die
Wissenschaftlichkeit des Ansatzes und
die dahinterstehende Weltanschauung.
Was hat sie am meisten überrascht?
Steinmeyer: Schockiert hat mich, dass es
bei einem signifikanten Teil von Coachs
eine Vermengung mit eindeutig esoteri-
schen Inhalten gibt. Ich möchte nicht be-
haupten, dass es die Mehrheit der Coachs
ist, aber es sind auch nicht nur ein paar
Einzelfälle. Bei einem NLP-Ausbildungs-
institut mit wissenschaftlichem Anspruch
ging es sogar auch um Aura und Reinkar-
nation. Und wenn man „DVNLP“ – also
den Deutschen Verband für Neuro-Lin-
guistisches Programmieren – und „Rück-
führung“ oder „Reinkarnation“ googelt,
findet man erschreckend viele Angebote.
Ich habe den Eindruck, dass es bei dem
Verband keine klare Abgrenzungspolitik
gibt. So arbeitet zum Beispiel der stellver-
tretende Vorsitzende des Verbandes und
DVNLP-Lehrtrainer, Peter Klein, auch
mit dem umstrittenen Esoteriker Rüdiger
Dahlke zusammen. Es scheint also bis in
die Verbandsspitze eine Affinität zur Eso-
terik zu geben. Aber daran scheint sich
offenbar niemand zu stören.
In Ihrem Buch schreiben Sie, dass dabei
sogar auf Holocaust-Verharmloser
verlinkt wird.
Steinmeyer: Es gibt einige NLP-Coachs,
die Hinweise und Links zu Trutz Hardo,
Donald Walsch, Colin Tipping oder Erik
Sigdell auf ihren Websites haben. Deren
Bücher verharmlosen den Nationalsozia-
lismus und legitimieren den Holocaust als
„karmisches Ausgleichsgeschehen“ oder
„spirituelle Heilung“. So behauptet etwa
Hardo, die ermordeten Juden hätten ihr
Schicksal ausgesucht, da sie sich in frühe-
ren Leben zumeist als Nichtjuden schul-
dig gemacht hätten. Vergewaltigung wird
ebenfalls als göttliches Geschehen ange-
sehen, bei dem sich das Opfer die Verge-
waltigung vorgeburtlich gewünscht hat,
um spirituell weiterzukommen. Da wird
es wirklich unerträglich und ich hätte nie
für möglich gehalten, dass solche Dinge
im Coaching auftauchen.
Das klingt ähnlich wie das Credo von
Byron Katies „The Work“, nach dem man
alles so lieben muss, wie es ist – egal wie
schrecklich es ist ...
Wie sind Sie als promovierter Politologe
überhaupt darauf gekommen, sich mit
Coaching und den dahinter stehenden
Methoden zu beschäftigen?
Georg Steinmeyer: Nach meinem geistes
wissenschaftlichen Studium und meiner
Promotion war es für mich schwierig,
außerhalb der Wissenschaft einen Einstieg
ins Berufsleben zu finden. Daher habe ich
verschiedene Kurse bei der Arbeitsagentur,
dem Karrierezentrum der Universität und
bei privaten Instituten besucht. Dort waren
oft auch externe Coaches tätig. Vieles, was
da erzählt wurde, kam mir einfach nur
banal vor. Und es tauchte immer wieder
dasselbe Mantra auf: Du musst an deinen
Erfolg glauben. Denn es kommt vor allem
auf die mentale Einstellung an. Dann
habe ich bei der Diakonie Berlin an dem
Patenmodell „Arbeit durch Management“
teilgenommen, bei dem sich ehrenamt
liche sogenannte „Job-Paten“ engagieren.
Da hat ein zertifizierter NLP-Coach
empfohlen, alle Negationen aus seinem
Wortschatz zu streichen, weil das Ge
hirn diese angeblich nicht verarbeiten
könne. Und wir sollten auch künstlich
lächeln, um unser Gehirn positiv zu
programmieren. Dann käme der Erfolg
automatisch. Das waren für mich dann
doch sehr esoterische Plattitüden und
das war der Anlass, mir NLP mal genauer
anzuschauen.
„Kritisches Denken wird
abgeblockt“
PERSÖNLICHKEIT II.
Mit seinem Buch „Die Gedanken sind nicht frei. Coaching: eine Kritik“
(Lukas Verlag, Berlin 2018) legt der Berliner Politologe Georg Steinmeyer eine
schockierende Analyse zu den Coaching-Methoden „Positive Psychologie“, „NLP“ und
„The Work“ vor. Er wirft ihnen vor, das Einzelkämpfertum zu fördern und zur
Entdemokratisierung des Denkens beizutragen.
„Sogenannte ‚stimmungsmindernde‘ Arbeitskollegen
werden als Energievampiere bezeichnet und mit
Parasiten verglichen.“