R
wirtschaft + weiterbildung
09_2018
35
„Glück ist mehr als Zufall. Mit NLP, The
Work und Positiver Psychologie unter-
stützen wir Menschen bei der aktiven
Gestaltung eines glücklichen Lebens“,
schreibt das Institut für angewandte Po-
sitive Psychologie (Ifapp) von Ralf Giesen
& Team in Berlin auf seiner Website.
Damit ist das Institut so etwas wie ein
Paradebeispiel für Georg Steinmeyers
Beobachtungen, die er in der Coaching-
Szene gemacht hat. In seinem Buch
(siehe nachfolgendes Interview) hat sich
der promovierte Politologe Coaching-
Angebote genauer angeschaut und dabei
die drei Methoden „Positive Psychologie“,
„NLP“ und „The Work“ von Byron Katie
analysiert. Dabei untersuchte er vor allem
zwei Aspekte: die Wissenschaftlichkeit
des Ansatzes und die dahinterstehende
Weltanschauung. Ein Grund für die Aus-
wahl waren seine Beobachtungen, dass
die drei Ansätze - nicht zuletzt aufgrund
einer ähnlichen Ideologie - öfter zusam-
men angeboten werden. Schließlich pro-
pagieren alle drei die Vorstellung, dass
der Einzelne für seinen Erfolg und sein
Glück selbst verantwortlich ist.
„Positive Psychologie“ – die
Ideologie der Angepassten?
Die zentrale Grundannahme der von
dem US-Psychologen Martin Seligman
geschaffenen „Positiven Psychologie“ sei
die Behauptung der „Programmierbarkeit
von Optimismus beziehungsweise der
Machbarkeit von Glück“, so der Stein-
meier. Als wissenschaftliche Fachrichtung
der Psychologie komme die „Positive Psy-
chologie“ zunächst einmal seriös daher
und sei auch an zahlreichen Universi-
täten vertreten. So gibt es zum Beispiel
auf der Website des Instituts für Persön-
lichkeitspsychologie der Universität Zü-
rich den Online-Test „Charakterstärken“.
Doch Steinmeyer ist skeptisch und sieht
bei dem Test „eklatante Schwächen“. So
werde bei den sechs Tugenden, die für
einen guten Charakter stehen sollen, in
keiner Weise auch ihre Ambivalenz mit
einbezogen. Mut könne zum Beispiel ei-
nerseits eine erwünschte Tugend sein,
aber auch destruktive Handlungen her-
vorbringen. Es komme daher immer auf
den Kontext an. Aber der werde nicht be-
rücksichtigt. Kritisch sieht er auch, dass
die Identifikation mit religiösen Über-
zeugungen per se als Stärke angesehen
werde. Dabei seien besonders religiöse
Menschen oftmals doch eher von Angst
geprägt. Zudem seien Fragen zum Thema
Religion seiner Meinung nach „stark
überrepräsentiert“. Wer also mit Religion
nichts anfangen könne, sammele auto-
matisch Negativpunkte. Ebenfalls über-
proportional vertreten seien Werte wie
Arbeitsmoral, Ehrgeiz, Zielstrebigkeit und
Wachstum.
Sind Konservative
charakterstärkere Menschen?
Das führe dazu, dass Personen mit kon-
servativ-libertärer Gesellschaftsauffas-
sung als charakterstärker gelten als Men-
schen, die soziale und emanzipatorische
Werte vertreten und auf gesellschaftliche
Verantwortung setzen. Bestätigt wird
seine Kritik von der renommierten US-
Journalistin Barbara Ehrenreich, die in
der „Positiven Psychologie“ die „wis-
senschaftliche verbrämte Propagierung
eines eigentlich ideologischen, nämlich
calvinistischen Wertekatalogs“ sieht. Wer
daher genauer hinschaue, erkenne, dass
Glück lediglich ein Mittel zum Zweck
sei, und zwar zum maximalen ökonomi-
schen Wachstum. Ziel sei ein angepass-
ter Mensch, unbegrenzt flexibel, mobil
und dem Leistungsdruck gewachsen, der
klaglos alle Zumutungen hinnimmt und
dabei immer enthusiastisch, optimistisch
und beschwingt ist. Es gehe vor allem
um das Streben nach maximalen Resul-
taten, kritisiert Steinmeyer. Menschen,
die selbst für ihr Wohlbefinden sorgten,
seien produktiver, belastbarer und täten
mehr für ihr Unternehmen. So habe Se-
ligman auch Projekte in Unternehmen
unterstützt, bei denen optimistische und
pessimistische Bewerber unterschieden
wurden. Denn wer einen Teil der Pes-
simisten aussortiere, könne seine Ein-
nahmen steigern. Dementsprechend sei
bereits die Personalpolitik der gesamten
Versicherungsbranche in den USA umge-
krempelt worden, habe Seligman einmal
stolz berichtet.
Die „Positive Psychologie“ habe be-
wiesen, dass es ein Irrtum sei, naiv zu
glauben, dass Freizeit, Urlaub oder der
Feierabend das Wohlbefinden fördere.
Das Gegenteil sei richtig. Studien zeig-
ten, dass das Glücksniveau der meisten
Menschen sofort sinke, wenn die Arbeit
ende. Erst am Montagmorgen, wenn die
Arbeitswoche wieder beginne, steige
auch wieder das Glück. Diese Aussage
stammt von Nico Rose, Vice President
Employer Branding & Talent Acquisition
bei Bertelsmann, der sich selbst als einen
der führenden Experten der „Positiven
Psychologie“ in Deutschland bezeich-
net. Auch zur Mediennutzung hat der
Bertelsmann-Personalmanager eine zu-
mindest bemerkenswerte Einstellung und
vergleicht sie gar mit einer gesundheits-
schädlichen Ernährung, die zu Krank-
heiten und Degenerationsprozessen füh-
ren könne. Rose propagiert daher eine
„Medien-Diät“, um gezielt mehr positive
Emotionen zu erzeugen. Die Verfechterin
der „Positiven Psychologie“ Ilona Bürgel
beklagt sogar eine „Herrschaft des Rea-
lismus“ in Deutschland, der oft nur ein
„getarnter Pessimismus“ sei und plädiert
dafür, belastenden Situationen mit einem
bewusst „übertriebenen Optimismus“ zu
begegnen.
Solche positiven Illusionen lassen sich
freilich nur aufrechterhalten, wenn sie
niemand hinterfragt oder kritisiert. Ent-
sprechend gereizt reagieren viele Ver-
treter auf jeden Angriff ihrer Ideologie
– was kritische Journalisten aus eigener
Erfahrung nur bestätigen können. Der
Klagenfurter Psychologieprofessor Phil-
ipp Mayring fasst es so zusammen: „Was
an der Positiven Psychologie so verstört,
ist ihr Sendungsbewusstsein und ihr Aus-
schließlichkeitsanspruch.“
Auf welchem Fundament
steht das NLP?
Gibt sich die „Positive Psychologie“ noch
den Anschein des Wissenschaftlichen, ist
die fehlende wissenschaftliche Grund-
lage beim NLP (Neurolinguistisches
Programmieren) längst hinreichend be-
kannt. „Neurolinguistisches Program-
mieren“ klinge fast so wissenschaftlich
wie Rasterelektronenmikroskop oder
Magnetresonanztomografie, schreibt der
Psychologie-Professor Uwe Kanning in
seiner Kritik. „Leider hat NLP mit Wis-
senschaft so viel zu tun wie Captain Kirk
mit Sir Isaak Newton.“ Und selbst einer