44
wirtschaft + weiterbildung
10_2017
zukundschaften oder zu diagnostizieren
oder um einen Vertrag mit dem Kunden
auszuhandeln. Ich bin da, um ihm in
jeder mir möglichen Art zu helfen. Wenn
das, was ich höre, mich total abtörnt oder
wenn ich um etwas gebeten werde, das
ich nicht tun kann oder will, muss ich au-
thentisch sein und eine Möglichkeit fin-
den, dem Kunden das mitzuteilen, aber
auf eine Weise, die er trotzdem noch als
hilfreich empfindet.
Dieses Dilemma entsteht häufig, wenn
ein Kunde möchte, dass ich eine be-
stimmte Art von Kulturumfrage emp-
fehle oder durchführe oder dass ich blind
handle, ohne die Konsequenzen zu be-
denken. Ich könnte einfach ablehnen,
aber das wäre nicht hilfreich. Um dem
Kunden zu helfen und mich an dieses
neue Modell zu halten, sage ich in die-
sem Fall lieber etwas wie: „Erzählen Sie
mir ein bisschen mehr darüber, was Sie
beschäftigt“, „Warum wollen Sie diese
Kulturumfrage durchführen?“, „Welches
Problem möchten Sie lösen?“ oder Ähn-
liches mehr.
Dazu ist es erforderlich, bei der Heran-
gehensweise an diese ersten Kontakte
eine neue Haltung anzunehmen. Das
Wesentliche an dieser neuen Haltung ist
eine gewisse Demut angesichts der Kom-
plexität der Probleme und eine gewisse
Demut in der Beziehung zum Kunden
– in dem Sinne, dass ich da bin, um bei
der gemeinsamen Klärung von Fragen
zu helfen und nicht, um das Problem an
mich zu reißen und damit loszurennen.
Ich bin da, um die Schwierigkeiten, vor
denen der Kunde steht, auf empathische
Weise anzuerkennen und um mich auf
ihn und die Situation zu konzentrieren,
anstatt auf mein eigenes Bedürfnis, mich
selbst, meine Fähigkeiten und Erkennt-
nisse gut zu verkaufen. Diese Haltung
lässt sich am besten damit beschreiben,
dass ich mich ernsthaft zum Helfen ver-
pflichtet fühle und aufrichtiges Interesse
am Klienten und seiner Situation habe.
Um dafür zu sorgen, dass diese Botschaft
von Anfang an beim Kunden ankommt,
lasse ich mich selbst von meiner echten
Neugier leiten.
Durch ehrliche, spontane Neugier kann
ich mein fürsorgliches und engagiertes
Interesse für den Kunden am besten ver-
mitteln. Diese Haltung zeichnet sich also
durch drei Hauptmerkmale aus: 1. Enga-
gement für das Helfen, 2. fürsorgliches
Interesse am Klienten und 3. Neugier. Ich
habe festgestellt, dass diese neue CCC-
Haltung (Commitment, Care, Curiosity)
auch einige neue Fähigkeiten erfordert.
Neue Fähigkeiten des
Zuhörens und Antwortens
Die wichtigste neue Fähigkeit ist eine an-
dere Art des Zuhörens. Trotz der vielen
Ratgeber und Kurse, die in der Kunst des
besseren Zuhörens unterweisen, habe
ich festgestellt, dass ich für diese Art der
Beratung noch etwas anderes beim Zu-
hören lernen musste als das, was nor-
malerweise empfohlen wird, und dass
man diese neue Fähigkeit braucht, um zu
wissen, wie man antwortet. Ich musste
zwei Formen von Empathie entwickeln.
Bei der ersten Variante muss ich darauf
achten und neugierig darauf sein, was der
Klient als seine aktuelle Situation oder
Immer wenn ich herausfinden wollte,
was meinen Kunden tatsächlich beunru-
higt, habe ich festgestellt, dass mich eine
nur förmliche Beziehung nicht ans Ziel
bringt. Vielmehr muss ich die „profes-
sionelle Distanz“ überwinden und eine
neue Art von intensiverer Beziehung zum
Kunden entwickeln, die persönlicher, ver-
trauensvoller und offener ist. Ich nenne
diese neue Art der Beziehung eine „Level-
2-Beziehung“ oder eine „Beziehung der
zweiten Ebene“.
Um Hilfe zu bitten, fällt in unserer Kultur
per se schwer. Potenzielle Kunden fühlen
sich in der Rolle des Hilfesuchenden un-
terlegen und sind von daher nicht beson-
ders offen oder vertrauensvoll bei ihrem
ersten Kontakt mit dem Berater. In der
neuen Rolle muss der Berater einen Weg
finden, um gleich bei der allerersten Be-
gegnung mit dem Kunden den Personali-
sierungsprozess einzuleiten und dadurch
zu signalisieren, dass man ihm vertrauen
kann und dass es sicher ist, sich ihm ge-
genüber zu öffnen. Der Aufbau einer sol-
chen Beziehung beginnt im Moment des
ersten Kontakts, was bedeutet, dass der
Berater von Anfang an mit einem völlig
anderen Verhalten an diese erste Begeg-
nung herangehen muss.
Unabhängig vom vorgetragenen Anlie-
gen des Kunden erfordert der Aufbau der
neuen Beziehung, dass ich eine helfende
Haltung einnehme und versuche, das Ge-
spräch zu personalisieren, und zwar von
dem Moment an, in dem ich zum ersten
Mal Kontakt mit dem neuen Klienten
habe, sei es am Telefon, in einer E-Mail
oder bei einer ersten Verabredung zum
Essen. Ich bin nicht da, um etwas aus-
COACHING/CONSULTING.
Der US-Organisationspsychologe Edgar H. Schein (88) warnt
Coachs und Berater davor, ihre Klienten zu „verhören“ oder „von oben herab“ auszufragen.
Um die wirklich wichtigen Informationen zu bekommen, müsse man auf Augenhöhe rück-
sichtsvoll nachhaken. Dazu hat er die Methode des „Humble Consulting“ (HC) entwickelt,
die jetzt als Buch bei Carl-Auer veröffentlicht wurde und in die er mit diesem Text einführt.
training und coaching
Ed Schein will persönlichere
Beziehung zu den Klienten