wirtschaft und weiterbildung 10/2017 - page 47

5.
Um die Beziehung zu personalisieren,
muss man eine vorurteilslose, fragende
Haltung einnehmen (Humble Inquiry),
indem man eher persönliche Fragen stellt
oder eigene, eher persönliche Gedanken
oder Gefühle preisgibt.
6.
Um eine persönliche Level-2-Bezie-
hung aufzubauen, muss der Berater dem
Klienten diese Absicht schon beim ersten
Kontakt vermitteln.
7.
Um zu verstehen, was den Kunden
beunruhigt, müssen sich Helfender und
Kunde auf einen Dialogprozess einlassen,
sobald sich eine Level-2-Arbeitsbezie-
hung zu entwickeln beginnt.
8.
Um festzustellen, ob das Problem, das
den Kunden beunruhigt, mehrere Facet-
ten hat, für die es keine einzelne, ein-
deutige Lösung gibt, müssen Berater und
Kunde diese Frage sorgfältig überprüfen.
9.
Um zu entscheiden, wo Handlungsbe-
darf besteht, müssen Berater und Kunde
gemeinsam über Prioritäten und notwen-
dige Maßnahmen entscheiden.
10.
Ist das Problem klar und eindeutig,
sollte der Berater die Rolle des Experten
oder Arztes übernehmen oder den Kun-
den an einen Experten oder Arzt überwei-
sen. Ist das Problem komplex und chao-
tisch, sollten sich Kunde und Berater auf
einen Dialog einlassen, um eine mögliche
Anpassungsbewegung zu ermitteln, wohl
wissend, dass diese Annäherung das Pro-
blem vielleicht nicht löst, aber eine ge-
wisse Erleichterung und neue Informatio-
nen erzeugen wird, auf deren Grundlage
die nächste Anpassungsbewegung erfol-
gen kann. Anpassungsbewegungen müs-
sen immer gemeinsame Entscheidungen
sein, weil der Berater nie genug über die
persönliche Situation des Kunden wissen
wird, und der Kunde nie genug über alle
Konsequenzen einer bestimmten Inter-
vention wissen kann.
Was bedeutet es, wirklich
zu helfen?
Für mich bedeutet helfen, dass ich etwas
mit und für Klienten tue, zu dem sie allein
nicht in der Lage sind. Die abschließende
Beurteilung der Frage, ob mein Handeln
hilfreich für den Kunden war oder nicht,
liegt im Grunde bei ihm. Wenn ich das
Gefühl habe, ihm geholfen zu haben, er
aber anderer Meinung ist, dann habe ich
ihm nicht geholfen. Was ist nach diesem
Kriterium dann echte Hilfe? Bei den kom-
plexen, chaotischen Problemen, die ich
beschrieben habe, muss immer wieder
sowohl vom Kunden als auch von mir
bewertet werden, ob ich helfen konnte
oder nicht. Manchmal sieht der Kunde
bestimmte Dinge, die die Situation ver-
bessert haben, oder er hat Klarheit darü-
ber gewonnen, was als Nächstes zu tun
ist, ohne dass ich es weiß. Manchmal
sehe ich bestimmte Dinge, die die Situa-
tion eindeutig verbessert haben und die
dem Kunden noch nicht aufgefallen sind,
und wir einigen uns darauf, dass er Hilfe
erhalten hat.
Meine Kunden und ich stellen fest, dass
die erste echte Hilfe, die ich leiste, darin
besteht, dass ich sie dazu befähige, die
wahre Komplexität und das Chaotische
der Problemsituation zu erkennen und
ihnen helfe, auf schnelle Lösungen und/
oder übers Knie gebrochene Reaktionen
zu verzichten. Darüber hinaus besteht
echte Hilfe darin, die richtigen Anpas-
sungsbewegungen für die gegebene Situ-
ation zu entwickeln, bei deren Ermittlung
ich den Kunden helfe.
Dass HC schneller hilft, ist einerseits lo-
gisch und andererseits paradox. Es ist
logisch, weil ich zunächst nur versuche,
gerade so viel Sinn in dem komplexen
Chaos zu entdecken, dass eine erste An-
passungsbewegung, keine umfassende
Lösung für das gesamte Problem ermittelt
werden kann. Paradox ist es, weil diese
erste Annäherung häufig die echte Hilfe
darstellt. Sobald wir mit Demut die Rea-
lität des Problems in seiner Komplexität
und Instabilität akzeptieren, können wir
uns selbst erlauben, uns einfach darauf
zu konzentrieren, was als Nächstes zu
tun ist, ohne besorgt über all die anderen
Schritte nachzudenken, die vielleicht in
Zukunft noch zu tun sein werden.
Edgar H. Schein
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