wirtschaft und weiterbildung 11-12 /2017 - page 41

wirtschaft + weiterbildung
11/12_2017
41
habe. Die Ziele hätten in der Regel kei-
nen Wert mehr, weil der Mitarbeiter oft
in ganz andere Projekte gewechselt sei.
Fassnacht: „Wir mussten zu einem agi-
len und kontinuierlichen Performance­
management kommen.“ Es gebe jetzt
immer noch eine Zielvereinbarung, aber
über sie werde während eines Jahres re-
gelmäßig gesprochen – zum Beispiel zehn
Minuten lang am Ende eines Jour fixe. Da
würde über Veränderungen bei den Zie-
len geredet und es könnten Zwischenbe-
urteilungen festgehalten werden.
Zusätzlich wurde das alte Bewertungs-
system, das auf „Schulnoten“ beruhte,
abgeschafft. „Zu unserem Führungsideal
passt das nicht mehr“, so Fassnacht. „Ich
kann nicht das ganze Jahr vertrauensvoll
führen und dann den Mitarbeiter in die
Rolle eines Kindes drängen und ihm eine
Note geben.“ Außerdem seien die Noten
selten aussagekräftig gewesen. Es gab
eine Skala, die aus fünf Noten bestand,
aber von den Führungskräften wurden
nur die Note „drei“ (35%), „zwei“ (55%)
und „eins“ (10%) vergeben. Jetzt könne
sich ein Manager beim Thema „Gehalts-
erhöhung“ nicht mehr hinter der Schein-
objektivität von Schulnoten verstecken.
Er müsse sich trauen, das Ausmaß einer
Erhöhung mit seinen Beobachtungen
zu begründen. „Der Abschied von den
Noten wurde von einem überwältigend
positiven Feedback aus der Belegschaft
begleitet“, erinnerte sich Fassnacht. Der
Bonus werde jetzt nur noch aus dem ge-
samten Unternehmenserfolg abgeleitet.
3 Lernen
In Zeiten der Veränderung muss jeden
Tag gelernt werden. Die Personalabtei-
lung hat die Aufgabe, dass viel kleintei-
liger als bislang gelernt werden kann. Es
gelte, viel mehr Online-Lernen zu ermög-
lichen, aber auch Coaching und Mento-
ring sowie die kollegiale Beratung mit
Peergroup-Feedback könnten das Lernen
beschleunigen. „Mein bestes Lernerleb-
nis war ein Sabbatical in Ghana. Da war
ich als Führungskraft gefordert und habe
Dinge gelernt, die ich nie in einem Trai-
ning hätte lernen können“, so Fassnacht.
„Lernen muss einfach schneller und in-
tensiver werden.“ Bei der SAP führt eine
entsprechende Fehlerkultur zusätzlich
dazu, dass permanent gelernt werde. Das
Moto lautet „Scheitere oft, aber frühzei-
tig“. Kurze Entwicklungszyklen haben
offenbar den Vorteil, dass Fehler schnell
korrigiert werden können. „Wir sind aber
noch nicht so weit, dass wir den Fehler
des Monats feiern“, merkte Fassnacht
an. „Aber wir sind schon so weit, dass
sich keiner wegen eines Fehlers bestraft
fühlt.“
4 Organisation
„Für mich ist ganz klar, die hierarchi-
schen Organisationsformen haben sich
überlebt, weil wir sonst mit der Ge-
schwindigkeit der aktuellen Veränderung
nicht Schritt halten können“, gab sich
Fassnacht überzeugt. Es dauere immer
noch zu lang, bis Informationen von oben
nach unten und von unten nach oben
wanderten. Hier sei die SAP auch noch
nicht perfekt. Die agilen Strukturen, die
bei der Softwareentwicklung gelten, seien
bislang nur teilweise auf die Verwaltung
oder den Vertrieb übertragbar. Fassnacht:
„Für mich ist ganz klar: Wir müssen
eine netzwerkartige Organisationsform
finden.“ Aber er rechne noch mit einer
gewissen Überzeugungsarbeit bei Mana-
gern, denen es immer noch wichtig sei,
wie viele Schäfchen sie unter sich hätten
und die Wert auf einen kontrollierenden
„Durchgriff“ auf ihre Mitarbeiter legten.
Da müsse man noch nach der passenden
Organisationsform suchen.
5 Werte
„Ich bin überzeugt davon, dass Men-
schen lieber in einem Unternehmen ar-
beiten, das ihnen einen Sinn gibt und für
bestimmte Werte steht“, sagte Fasnacht.
Die entsprechenden SAP-Werte wurden
in Hunderten von Workshops im Rahmen
eines Bottom-up-Ansatzes (hohe Glaub-
würdigkeit!) ermittelt. Worin drückt sich
die SAP-Kultur aus? Am besten lässt sich
dies mit den fünf einfachen „How We
Run“-Verhaltensgrundsätzen erklären,
die die SAP-Mitarbeiter leiten und bei
der Erreichung der Ziele helfen. Sie lau-
ten: „Drücken Sie sich klar und ehrlich
aus, bleiben Sie neugierig, respektieren
Sie Unterschiede, halten Sie Ihre Ver-
sprechen und bauen Sie Brücken anstatt
Barrieren.“ Alle Mitarbeiter kennen diese
Werte. Der Wert „sich klar und ehrlich
ausdrücken“ („Tell it like it is“) führt
zum Beispiel in Meetings dazu, dass eine
Person aufstehen darf, um zu sagen, wie
„etwas wirklich ist und was nicht gut
läuft“, ohne Angst haben zu müssen.
6 Transparenz
Die Zeit des Herrschaftswissens ist bei
der SAP offenbar vorbei. Mitarbeiter und
Führungskräfte bekommen alle relevan-
ten Informationen in Echtzeit zur Verfü-
gung gestellt. Jede Führungskraft kann
auf dem Smartphone sehen, wie weit ihr
Budget aufgebraucht ist. Es gibt keinen
Controller mehr, der Herrschaftswissen
hat und der die Daten mit Zeitverzug für
andere aufbereitet. Fassnacht: „Wenn wir
schnell und agil arbeiten wollen, dann
müssen wir den Mitarbeitern auch Zu-
gang zu den relevanten, firmeninternen
Daten geben. Wir müssen volle Transpa-
renz herstellen.“ Der Nachteil einer voll-
kommenen Transparenz sei es allerdings,
dass sich jede Führungskraft auf kritische
Fragen gefasst machen müsse. Transpa-
renz könne auch bedeuten, dass interne
Informationen nach draußen gelangten.
Mögliche negative Erfahrungen ändern
laut Fassnacht aber nichts an der Rich-
tung, in die man gehen muss.
Fazit: „Wenn ich den richtigen Führungs-
stil praktiziere, die Mitarbeiter mit dem
richtigen Performancemanagement an-
leite, wenn ich so viele Lernangebote
habe, sodass jeder ah hoc die Skills ler-
nen kann, die er für sein nächstes Pro-
jekt braucht, wenn ich mich in einer
netzwerkartigen Organisationsstruktur
bewege, wenn ich eine werteorientierte
Sinnstiftung vorweisen kann und noch
dazu transparent mit allen Daten umgehe,
dann stärke ich als Manager meinen Mit-
arbeitern den Rücken“, fasste Fassnacht
seine Botschaft zusammen. Nur so bekä-
men die Mitarbeiter jene Stabilität, die es
ihnen erlaube, sich dem Wandel zu öff-
nen. Als Geschäftsleitung und HR-Abtei-
lung müsse man genau diesen Rahmen
schaffen. „Jedes Unternehmen sollte jetzt
diese sechs Themen in seiner eigenen Ge-
schwindigkeit und eigenen Art angehen“,
forderte Fassnacht.
Martin Pichler
1...,31,32,33,34,35,36,37,38,39,40 42,43,44,45,46,47,48,49,50,51,...68
Powered by FlippingBook