personal- und organisationsentwicklung
32
wirtschaft + weiterbildung
11/12_2017
Arbeitsbelastung auch eine höhere psy-
chische Belastung verbunden ist – jeder
Führungskraft einen externen Coach zur
Seite zu stellen. Ihn konnten die Füh-
rungskräfte jederzeit kontaktieren. Hinter
dieser Entscheidung stand auch die Er-
kenntnis, dass sich größere Change-Pro-
zesse nur bedingt zentral steuern lassen.
Deshalb benötigen die lokalen Einheiten
unbedingt auch eine fachliche und men-
tale Unterstützung.
Eine große Bedeutung wurde auch der
Frage beigemessen: Wie können wir die
Qualität des Change-Prozesses messen?
Welche Informationen sind notwendig,
um es frühzeitig zu erkennen, dass ein
Interventionsbedarf entsteht?
Mitarbeiterbefragung als
Frühwarnsystem
Entschieden wurde, jeden Monat eine
(partielle) Mitarbeiterbefragung durch-
zuführen. Diese Befragung wurde diffe-
renziert nach Hierarchieebenen, um zu
ermitteln, ob der Prozess wie gewünscht
verläuft oder ob zusätzlicher Handlungs-
bedarf besteht. Erfasst wurden hierbei die
vier Dimensionen „Infofluss“, „Dialog“,
„Engagement“ und „Handlungsunterstüt-
zung“. Zur Auswahl dieser vier Dimen-
sionen entschied sich das Unternehmen
aus folgenden Gründen: Damit die Mit-
arbeiter ihren Beitrag zur gewünschten
Veränderung leisten können, benötigen
sie die hierfür relevanten Informationen.
Außerdem muss ein Dialog zwischen Be-
teiligten und Betroffenen erfolgen, damit
sich die Einzelinitiativen verzahnen und
auch ganz bestimmt keine Insellösungen
produziert werden.
Wichtig war es dem Unternehmen auch,
über eine Art Seismograf zu verfügen, der
anzeigt, inwieweit die Mitarbeiter noch
hinter dem Projekt stehen. Deshalb wur-
den diese auch hinsichtlich ihres Engage-
ments befragt. Der Grund hierfür: In Ver-
änderungsprozessen kommt es zuweilen
vor, dass im Verlauf des Projekts die Moti-
vation von Mitarbeitern beziehungsweise
ganzer Mitarbeitergruppen, die dem Pro-
zess an sich durchaus positiv gegenüber-
stehen, plötzlich deutlich messbar sinkt.
Die gekündigten Mitarbeiter
aktiv unterstützt
Dieser Motivationsverlust tritt zum Bei-
spiel dann ein, wenn die Mitarbeiter all-
mählich merken, was die geplante Verän-
derung für sie bedeutet. Oder er tritt ein,
weil unvorhergesehene Probleme auftau-
chen. Deshalb sollte eine Art Frühwarn-
R
system registrieren, ob bei bestimmten
Mitarbeitergruppen die Gefahr besteht,
dass sie aus dem Prozess aussteigen.
Der Gefahr, dass die gekündigten Mitar-
beiter den Prozess stören, wurde durch
ein sogenanntes „Exit-Programm“ ent-
gegengewirkt. In ihm war geregelt, wie
der Kündigungs- und Trennungsprozess
gestaltet werden sollte. Außerdem wurde
geregelt, welche Unterstützung die Ge-
kündigten beim Verarbeiten der Kündi-
gung sowie zum Entwickeln einer neuen
Perspektive erhalten – angefangen bei
einem individuellen (Krisen-)Coaching
bis hin zur aktiven Unterstützung beim
Entwickeln einer neuen beruflichen Per-
spektive durch Outplacement-Berater.
Deshalb merkten die Mitarbeiter nach
anfänglichem Frust schnell: Das Unter-
nehmen fühlt sich uns – trotz Kündigung
– weiterhin verpflichtet. Dies honorierten
sie. Das zeigt sich zum Beispiel darin,
dass der Krankenstand nach dem Aus-
sprechen der Kündigungen nicht stieg.
Auch die Zahl der Arbeitsgerichtspro-
zesse lag weit unter den bei solchen Pro-
jekten üblichen Werten.
Drei Bedingungen für
reibungslosen Stellenabbau
Fazit: Durch das akribische Planen des
Change-Prozesses sowie die Berücksich-
tigung des Faktors Mensch gelang es dem
Unternehmen, das Projekt wie geplant
abzuschließen. Selbst der Personalabbau
verlief ohne Störungen. Weder Streiks
noch negative Presseberichte haben die
Sache torpediert. Das zeigt: Auch Change-
Projekte, die massive Auswirkungen auf
die Arbeitsbeziehungen und -inhalte
sowie die Arbeitssituation der Mitarbeiter
haben, können weitgehend reibungslos
verlaufen – unter drei Bedingungen: Das
Unternehmen plant das Projekt professi-
onell, es spielt (soweit möglich) mit offe-
nen Karten und integriert die Mitarbeiter
in den Prozess.
Dr. Georg Kraus
Dr. Georg Kraus.
Der Change-Management-Profi nutzt seine freie Zeit, um Studen-
ten der Universität Karlsruhe mit dem Projektmanagement vertraut zu machen.
„Der Krankenstand stieg nach dem Aussprechen
der Kündigungen nicht an und die Zahl der
Arbeitsgerichtsprozesse blieb gering.“
Projektbericht