WIRTSCHAFT UND WEITERBILDUNG 5/2017 - page 23

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wirtschaft + weiterbildung
05_2017
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System.
Ständig
werden Organisati-
onen neu vermes-
sen. Das sollte aber
nicht dazu führen,
dass Bewährtes
abgeschnitten wird.
neuen Herausforderungen einer digitalen
Ökonomie zu bewältigen sind. Entschei-
dungen werden weit schneller getroffen
und die Arbeit wird als sinnhafter erlebt.
Brian Robertson oder auch Frithjof Berg-
mann (um nur die bekanntesten Vertreter
zu nennen) werden umjubelt. Und auf-
fällig ist zudem, dass die organisationa-
len Ansätze sich an eine gesellschaftli-
che Entwicklung koppeln, die schon seit
Jahren vornehmlich in der sogenannten
Generation Y in Richtung Selbstbestimmt-
heit und Sinnhaftigkeit läuft. Man kann
also die These vertreten, dass ein Gutteil
des Erfolgs der aktuellen Ansätze mit
ihrer Passung zu den aktuell präferier-
ten gesellschaftlichen Werten, zumindest
eines bestimmten Teils der Gesellschaft,
passt. Diese spricht nicht generell gegen
die Ansätze, verweist aber mit Nachdruck
auf den Kontext, in dem der Erfolg zu-
stande kommt.
Man merkt, ein wesentlicher Erfolgsfak-
tor der aktuellen Welle liegt außerhalb
der Organisation. Von Gregory Bateson
(„Geist und Natur – eine notwendige
Einheit“, Suhrkamp Verlag 1987) gibt es
das Konzept eines „epistemologischen
Irrtums“. Ein solcher Irrtum liegt immer
dann vor, wenn Personen von einer be-
stimmten Erkenntnis getrieben ein Kon-
zept verfolgen, das nicht zum Kontext
passt und auch nicht langfristig mit dem
Überleben vereinbar ist.
Ein einfaches Beispiel: Ich verfolge die
Idee, dass mein Unternehmen erfolgreich
ist, indem ich gnadenlos die Zulieferer im
Preis drücke. Mit dieser Strategie kann
ich zwar kurzfristig den Gewinn steigern,
übersehe aber, dass dies die Qualität und
auch die Innovativität stetig sinken lässt,
was letztlich zum Untergang des Unter-
nehmens führt. Ich begehe also einen
„epistemologischen Irrtum“, denn das,
was für mich zum Erfolg beiträgt, führt
letztlich zum Misserfolg. Diese Frage lässt
sich – zumindest zur kritischen Prüfung –
auf die aktuellen Entwicklungen übertra-
gen. Epistemologische Irrtümer begehen
Führungskräfte und Berater, die denken,
die Prinzipien einer modischen Theorie
seien „automatisch“ die Erfolgsbedingun-
gen für das Führen eines Unternehmens.
Dies spricht wiederum keineswegs gegen
den Anregungscharakter und die Qualität
vieler einzelner Ideen, die derzeit in der
Diskussion sind, wohl aber gegen eine
unkritische Übernahme eines Ansatzes
als „neues Betriebssystem“.
Ein weiteres Schlaglicht. Aus der Sicht
eines Organisationsforschers könnte man
recht entspannt auf die Entwicklung
schauen und sich zunächst einmal wun-
dern, mit wie viel Verve hier das Neue
und Andere als Gegensatz zu den klas-
sischen Konzernlogiken gefeiert wird.
Schon 1976 wurde die Unterscheidung
von Zelt- und Palastorganisationen ein-
geführt. Mit der Zeltorganisation wurde
eine Organisationsform vorgestellt, die
im Gegensatz zu den unbeweglichen
Konzernen schnelle, bewegliche soge-
nannte „Nomaden“ etabliert, also kleine
„self designing organizations“, die sich
in unklaren, schnell verändernden, feind-
lichen Umwelten zurechtfinden sollen.
Und noch weit früher – schon 1946 – un-
tersuchte Herbert Simon die „Proverbs of
Administration“, also gängige (Erfolgs-)
Prinzipien.
In einem für die noch junge Organisati-
onsforschung richtungsweisenden Arti-
kel (Herbert A Simon: „The Proverbs of
Administration“, Public Administration
Review, 1946, 6(1), Seite 53-67) konnte
Simon zeigen, dass sich die damals
schon kursierenden Hinweise über (ein-
zig) richtiges Organisieren fundamental
widersprachen. Zentralisierung oder De-
zentralisierung, eine hohe oder geringe
Kontrollspanne? Für jedes Erfolgsprinzip
konnte ein gegenteiliges gefunden wer-
den, das ebenso empfohlen wurde. Die
Aufforderung „Stärke die Zentralisierung
und du wirst erfolgreicher“ stand gegen
den Rat: „Vermindere die Zentralisierung,
um erfolgreich zu sein!“ Simon wies
nicht nur darauf hin, dass sich die Prinzi-
pien widersprachen, er konnte auch zei-
gen, dass es keine Hinweise gab, wie mit
dem Widerspruch umzugehen ist.
Aus diesem offenkundigen Mangel heraus
leitete Herbert Simon einen Hinweis ab,
der nicht auf die Inhalte der „Proverbs“,
sondern auf deren Form verwies. Alle
Erfolgsfaktoren, die „präskriptiv“ argu-
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