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wirtschaft + weiterbildung
05_2017
titelthema
zu schauen. Und schaut man „von oben“,
dann fallen vor allem zwei Aspekte auf.
Es ist gelungen, die Frage nach der Or-
ganisation der Organisation in den Fokus
der Aufmerksamkeit zu rücken. Ich wage
die Behauptung, dass noch nie in den
letzten zwei Jahrzehnten so intensiv und
radikal über Organisationsfragen disku-
tiert wurde, wie in den letzten Jahren. Mit
diesem Erfolg geht zugleich eine große
Verunsicherung hinsichtlich gleich meh-
rerer Fragen einher: Handelt es sich um
eine Modewelle, die man auch vorbeizie-
hen lassen kann? Und wenn nein, wie las-
sen sich die Ansätze und Methoden auch
in größeren Konzernkontexten imple-
mentieren? Was heißt dies für Beratungs-
unternehmen? Müssen Führungs- und
Beratungsansätze radikal neu gedacht
werden? Hierzu einige Reflexionsanstöße.
Alle Anzeichen sprechen für
eine Modewelle
Das, was gerade diskutiert wird, trägt
vielerlei Anzeichen einer Modewelle.
Management- und Beratungsansätze un-
terliegen, dies hat Alfred Kieser bereits
1996 („Moden und Mythen des Organi-
sierens“) gezeigt, typischen Modewellen.
Eine bestimmte Zeitlang wird ein Thema
„gehypt“ und viele springen auf. Frühere
Moden hießen: Kultur, Lernen, Wissen,
Reengineering. Heute muss alles „natür-
lich“ agil und selbstorganisiert sein. Fol-
gende Gemeinsamkeiten lassen sich bei
einem Großteil der modischen Ansätze
finden:
• Konzentration auf Schlüsselfaktoren
• Mischung aus Einfachheit und Mehr-
deutigkeit
• Große Herausforderung und soge-
nannte „Quantensprünge“
• Personifizierung, also Fokussierung auf
erfolgreiche und bekannte Persönlich-
keiten
• Eindringlicher Appell an moderne, zen-
trale Werte.
Anhand dieser (Prüf-)Liste wird man
schnell sehen können, dass heute disku-
tierte Ansätze vieles von dem Genannten
beinhalten. „Sinn“, „Agilität“ oder auch
„Demokratisierung“ werden zu Schlüssel-
faktoren stilisiert, die große positive Ver-
änderungen versprechen, mit denen die
Die Welt der „Organisationen“ ist in Be-
wegung geraten. „Digitalisierung“ als
Megatrend, „New Work“ als Sammelbe-
griff, „Agilität“ oder „Holacracy“ als nicht
mehr vollkommen neue, aber immer wie-
der neu diskutierte Organisationsansätze
haben die Verantwortlichen für Führungs-
und Organisationsfragen aufgerüttelt. In
der Summe sorgt dies dafür, dass die Or-
ganisationsgestaltung radikal hinterfragt
wird. Vor allem die „klassische“ Orga-
nisation mit der Hierarchie und funktio-
nalen Differenzierung als prägende Prin-
zipien der Entscheidungsfindung und
Aufmerksamkeitsfokussierung steht im
„Kreuzfeuer“ einer sich progressiv geben-
den Kritik.
Ist also alles klar, sind sich alle einig,
wohin die Reise geht? Alles soll agiler,
sinnhafter, demokratischer werden!?
Volle Einigkeit scheint nicht vorzuherr-
schen. Einerseits werden die neuen An-
sätze noch gefeiert und Beraterfirmen
positionieren sich zu Anwendungsfragen.
Andererseits, dies sollte in dem Hype
nicht übersehen werden, nehmen auch
die kritischen Berichte zu, die aufzei-
gen, welchen Preis einzelne Mitarbeiter
oder auch ganze Organisationen zahlen,
wenn sie den Referenzorganisationen
nacheifern und zum Beispiel Hierarchien
abschaffen. Auch Organisationsforscher
zweifeln eher am langfristigen Erfolg.
Hier tut sich prägnant Stefan Kühl hervor,
der immer wieder anmahnt, dass viele
Ansätze doch nicht so neu sind und man
nicht sofort alle Errungenschaften der
letzten Jahrzehnte im Umgang mit Orga-
nisationen über Bord schmeißen sollte.
Der Zeitpunkt scheint passend, eine Art
Zwischenfazit zu ziehen, und im gewis-
sen Sinne von oben auf den derzeitigen
Umgang mit den „New-Work“-Ansätzen
Lerne Gegensätze zu lieben
SYSTEMISCHE ORGANISATIONSTHEORIE.
Mit „New Work“ als Sammelbegriff und
insbesondere mit „Agilität“ und „Holacracy“ werden derzeit Organisationen radikal
hinterfragt. Dieser Fachartikel kritisiert die Einseitigkeit der modernen Führungs- und
Organisationsansätze und zeigt auf, wie das alte und das neue Organisationsprinzip in
Balance gebracht werden können.
Foto: Ikon Images / Gary Waters / mauritius-images.com