WIRTSCHAFT UND WEITERBILDUNG 6/2017 - page 34

personal- und organisationsentwicklung
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wirtschaft + weiterbildung
06_2017
Unternehmens signifikant beschleuni-
gen. Bisher standen die Stuttgarter nicht
nur bei alternativen Antrieben auf der
Bremse. Kurz nach einer Welttournee mit
Wasserstofffahrzeugen wurde 2013 die
angekündigte Serienproduktion abgesagt.
Im selben Jahr überließ man BMW die
Vorfahrt bei komplett neuen Elektroau-
tos. Die ersten E-Smarts mit Hochtempe-
raturzellen hatten 2007 bloß Forschungs­
charakter.
Spätestens seit Zetsches Auftritt im Ok-
tober 2016 ist klar: Agilität ist ein Mega-
Trend, der alle Branchen erfasst. Und
zunehmend wächst in den Unternehmen
die Erkenntnis: Unsere noch durch eine
pyramidenartige Hierarchie geprägten
Strukturen sind zu starr, um die Heraus-
forderungen der VUCA-Welt (Volatility,
Uncertainty, Complexity, Ambiguity) zu
meistern. Und: Unsere Kommunikations-
und Entscheidungswege sind zu träge
und langsam, um mit der nötigen Flexibi-
lität auf die zahllosen Veränderungen zu
reagieren und die erforderliche Innovati-
onskraft und -geschwindigkeit zu entfal-
ten.
Neue Arbeitsformen kollidie-
ren mit alten Strukturen
Ein großer Teil der Mitarbeiter vieler Un-
ternehmen spürt dies bei seiner Arbeit
schon Tag für Tag. Denn faktisch werden
heute bereits die Kernleistungen in den
meisten Unternehmen in bereichsüber-
greifender, oft sogar standort-, zuweilen
sogar unternehmensübergreifender Team-
und Projektarbeit erbracht. Und die In-
nen-Außen-Grenzen der Unternehmen?
Sie werden immer durchlässiger und flie-
ßend – auch weil für die Unternehmen
mehr „Mitarbeiter auf Zeit“ wie Berater,
Interim-Manager sowie Dienstleister, die
Teilaufgaben erfüllen, arbeiten.
Die Unternehmen und ihre Mitarbeiter
agieren also zunehmend in netzwerk-
artigen Strukturen, und diese kollidieren
immer häufiger mit den starren Kom-
munikations- und Entscheidungswegen
und der von der tradierten Hierarchie ge-
prägten Kultur. Eine Ursache hierfür ist:
Nicht selten versucht das Management,
die neuen Herausforderungen mit den
alten Management-Methoden zu meis-
tern – teils aus Unkenntnis alternativer
Methoden, teils aus Gewohnheit, teils aus
Angst, die Kontrolle zu verlieren. Dies
führt bei den engagierten, zur Verände-
rung bereiten Mitarbeitern nicht selten zu
Demotivation und bei der Belegschaft ins-
gesamt zu einer Orientierungslosigkeit,
weil sie spürt: Irgendwie passt das alles
nicht mehr zusammen.
Hierfür ein Beispiel: Nicht selten führen
Unternehmen agile Methoden ein, ohne
die Ablauforganisation zu ändern. Kon-
kret heißt dies unter anderem: Das tra-
dierte Berichts- und Kontrollwesen in den
Organisationen bleibt weiter bestehen.
Und: Die Entscheidungsgewalt und somit
Gestaltungsmacht verbleibt bei den Füh-
rungskräften, statt auf die Mitarbeiter
überzugehen, obwohl die Unternehmens-
leitung propagiert: Die Verantwortung
muss sich immer stärker auf die operative
Ebene, also auf die Shopfloor-Ebene ver-
lagern.
Das heißt: Die mittleren und oberen Füh-
rungskräfte wünschen sich zwar mehr
Flexibilität und Innovation an der Basis.
Sie sind aber noch nicht gewillt, ihre
Im Oktober 2016 verkündete Dieter Zet-
sche, der Vorstandsvorsitzende des Stutt-
garter Daimler-Konzerns, das Leitbild
einer neuen Organisation für sein Un-
ternehmen. Trotz Rekordabsatzzahlen
forderte Zetsche ein radikales Umdenken
seiner Mitarbeiter. Statt die derzeit durch-
aus erfreulich hohen Umsätze zu feiern,
sollten sich alle an einer Revolution be-
teiligen – auch wenn der Ausgang solcher
Veränderungen offen sei.
„Bisher stand Mercedes offenbar auf der
Bremse“, schrieben anschließend die Ta-
geszeitungen. „Was Zetsche jetzt verkün-
det, ist eine Revolution von oben.“ Und
diese Einschätzung ist nicht übertrieben,
denn Zetsche will nicht nur die Verwand-
lung der Daimler-Produkte vorantreiben,
sondern auch die Verwandlung seines
Wie Organisationen
beweglicher werden
FÜHRUNG.
Bei Führungskräften und ihren Beratern besteht weitgehend Einigkeit: Unsere
Organisationen müssen flexibler und agiler werden, um in der heutigen Welt erfolgreich
zu sein. Unklar ist jedoch oft noch, welche strukturellen und kulturellen Veränderungen im
Einzelfall hierfür nötig sind.
Klaus Kissel
ist einer der bei-
den Geschäftsfüh-
rer des IFSM-Insti-
tuts für Sales- und
Managementberatung, das Unterneh-
men unter anderem in den Bereichen
Personal- und Organisationsentwick-
lung unterstützt. Er ist Autor des Buchs
„Das Prinzip der minimalen Führung“
(Windmühle Verlag, 2011).
IFSM-Institut für Sales- und
Managementberatung
Uwe Reusche, Klaus Kissel
Klostergut Besselich, 56182 Urbar
Tel. 0261 9623641
AUTOR
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