wirtschaft und weiterbildung 1/2016 - page 29

wirtschaft + weiterbildung
01_2016
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wie Urlaubsgenehmigung, Personalaus-
wahl, Budgetplanung oder gar Vergü-
tungsentscheidungen werden dabei je
nach Grad der Selbstorganisation immer
weiter in Richtung Team delegiert.
Bleibt Führung weiterhin ein hierar-
chisch, arbeitsteiliges Denkmodell, wird
sie zum kritischen Engpass, da eine Füh-
rungskraft kaum in der Lage ist, die Wün-
sche und Bedürfnisse des Markts oder gar
jedes Kunden wirklich zu kennen. Ent-
scheiden lediglich Führungskräfte, dau-
ern die Prozesse schlicht zu lang. Im Ver-
änderungsprozess von einem klassischen
zu einem agilen Unternehmen kommt der
Führungskraft eine besondere Bedeutung
zu. Zum einen muss sie aktiv eine Ge-
staltungsrolle übernehmen und damit als
Vorbild vorausgehen. Zum anderen ist sie
maßgeblich selbst durch die Veränderung
betroffen. Manche Unternehmen lassen
gar die Führungsrollen auf Zeit durch
Mitarbeiter wählen (siehe Haufe-Umantis
– mehr dazu lesen Sie auf Seite 8). Dass
dafür ein verändertes Verständnis von
Führung sowie der Führungskompeten-
zen notwendig wird, ist spätestens mit
diesem Beispiel klar.
Kompetenzprofil einer agilen
Führungskraft
Welche Kompetenzen benötigen Füh-
rungskräfte nun, um in dieser komplexen
Welt beziehungsweise in einem agilen
Kontext als Führungskraft erfolgreich
zu sein? Der US-amerikanische Manage-
mentexperte Jim Collins führt es auf die
essenzielle Frage zurück: „Warum will
ich führen?“ Er beantwortet diese Frage
unter anderem mit einer Aussage von
James McGregor Burns: „Wahre Men-
schenführung ist, wenn Menschen dir
nur dann folgen, wenn sie die Möglich-
keit hätten, es nicht zu tun.“ Selbstre-
flexion beziehungsweise seine eigenen
Werte, Bedürfnisse und Motive zu ken-
nen und zu verstehen, sind die Basis, um
authentisch als Vorbild zu agieren. Wer
seine Stärken und Schwächen und damit
auch seine „eigene Landkarte“ kennt, ist
in der Lage, sich und anderen mit Wert-
schätzung, Offenheit und Respekt zu be-
gegnen und zu entwickeln.
Interdisziplinäre Teamstrukturen bezie-
hungsweise flexible Netzwerke führen
dazu, dass Teamfähigkeit sowie die Fähig-
keit, Teams zu führen, zu entwickeln und
auszurichten immer wichtiger werden.
Einfühlungsvermögen und Empathie für
unterschiedliche Erfahrungen, Denk- und
Handlungsweisen sind die Grundlagen,
um interne und externe Schnittstellen zu
tragfähigen Nahtstellen zu entwickeln.
Interkulturelle Kompetenz sowie die Fä-
higkeit, virtuelle Teams zu führen, wird in
der internationalen und globalen Zusam-
menarbeit als Führungskompetenz noch
wichtiger. Getragen werden diese Kom-
petenzen von einer hohen Kommunikati-
onsfähigkeit – sowohl im Vermitteln von
Inhalten als auch im aktiven Zuhören.
Im agilen Kontext tritt die benötigte
Fachkompetenz einer Führungskraft
in den Hintergrund. Führungskräfte
geben Orientierung (Vision und Ziele)
vor, die Teams entscheiden operativ
selbstverantwortlich. Somit fokussie-
ren sich Führungskräfte stärker auf die
Unternehmensperspektive. Das heißt:
Unternehmerisches Denken und Han-
deln, getragen von einer radikalen Kun-
denorientierung ist Kernkompetenz. Er-
gänzt um die Kenntnis (agiler) Manage-
ment- und Prozess-Methoden sowie tief
gehender Change-Management-Expertise
übernimmt die Führungskraft eine aktive
Rolle bei der Weiterentwicklung des Un-
ternehmens.
Abgerundet wird das Kompetenzprofil
von einer hohen Ambiguitätstoleranz, ba-
sierend auf einer hohen Flexibilität und
Lösungskompetenz, um in diesem auf
Unsicherheit basierenden Umfeld Priori-
täten definieren, Entscheidungen treffen,
Chancen erkennen und ergreifen zu kön-
nen und damit operative Umsetzungs-
kompetenz durch nachhaltige Ergebnisse
zu zeigen.
Agile Führungskräfte dürfen
endlich führen
Man kann mit dieser Aufzählung leicht
erkennen, dass Führungskräfte auch zu-
künftig eine wichtige Rolle spielen wer-
den. Jetzt dürfen Führungskräfte endlich
führen. Damit gewinnen letztlich alle:
Mitarbeiter gewinnen Autonomie, Frei-
heit und Verantwortung, Führungskräfte
gestalten Unternehmen und schaffen Um-
felder, in denen Erwachsene arbeiten wol-
len. Und der Kunde ist König.
Zurück zur Rolle der Führungskraft: Ist
sie im agilen Umfeld Führungskraft oder
Coach? Manager oder Leader? Hier geht
es nicht um „entweder oder“, sondern
um „sowohl als auch“. Als Führungskraft
gilt es, Dinge, Zahlen und Prozesse zu
managen. Das muss effektiv und effizi-
ent sein, das ist Pflicht. Als Leader gilt
es, Menschen zu entwickeln und zu coa-
chen. Das ist die Kür.
Bernd Rutz
Grundsätze.
Im Jahr 2001 haben 17 Softwareentwickler
in den USA das sogenannte „Agile Manifest“ verfasst. Ihre
Grundsätze zeigen, worauf sich agiles Arbeiten fokussiert:
„Wir erschließen bessere Wege, Software zu entwickeln,
indem wir es selbst tun und anderen dabei helfen. Durch
diese Tätigkeit haben wir diese Werte zu schätzen gelernt:
·
Individuen und Interaktionen
mehr als
Prozesse und
Werkzeuge
·
funktionierende Software
mehr als
umfassende Doku-
mentation
·
Zusammenarbeit mit dem Kunden
mehr als
Vertragsver-
handlung
·
Reagieren auf Veränderung
mehr als das
Befolgen eines
Plans
Das heißt, obwohl wir die Werte auf der rechten Seite wich-
tig finden, schätzen wir die Werte auf der linken Seite höher
ein.“ Weitere Informationen zum „Agilen Manifest“ finden
Sie im Internet unter
Das „Agile Manifest“
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