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wirtschaft + weiterbildung
01_2016
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Die Welt verändert sich radikal, ehema-
lige Markt- und Innovationsführer wie
Nokia, Kodak, Blackberry gehören quasi
über Nacht zu den Verlierern. Wie diese
radikalen Veränderungen entstehen, zei-
gen einige Beispiele:
•
Globalisierung:
Die Welt ist ein Internet-
Dorf. Business ist global und die Kun-
den entwickeln immer speziellere Be-
dürfnisse. Dazu möchten sie auch noch
individuell und persönlich betreut wer-
den. Jeder hat seine Ideen, aber keiner
eine allgemeingültige Lösung.
•
Dynamik:
Die Welt ist eine Highspeed-
Autobahn. Jede Frage wird in Milli
sekunden beantwortet und das rund
um die Uhr. Transparenz, Informati-
onsflut, Big Data, Prototypen 1.0, 2.0,
3.0. Outside-in-Kundenfokus, schnelles
Lernen und Experimentieren ist heute.
Inside-out-Hierarchiefokus, Fehlerver-
meiden und langes Planen war gestern.
Dazu scheinen erste Unternehmen Ant-
worten auf diese Dynamik zu finden.
Semco, Buurtzorg, Morning Star oder
Spotify zeigen, dass neue agile Organi-
sationsformen erfolgreich und zugleich
menschlich sein können.
•
Digitalisierung:
Von der Wasser- und
Dampfkraft (1.0), zur Fließbandferti-
gung (2.0). Dann die Geburt des PCs
sowie automatisierter Produktion (3.0)
und jetzt kommt die „Digitalisierung“
beziehungsweise Vernetzung der Dinge
(4.0). Dabei geht es nicht um noch
mehr, sondern um den neuen Einsatz
von Technik und damit um völlig neue
„digitale“ Geschäftskonzepte.
•
Demografie:
Die Welt ist ein Mehrgene-
rationen-Haus im Ungleichgewicht. Um
die „jungen Innovativen“ herrscht ein
„War for Talents“. Das ist inzwischen
schon alter Wein. Diese Generationen Y
und Z sind anders vernetzt als die Ge-
nerationen davor. Sie wollen mehr Au-
tonomie und Freiheit, mehr Leben im
Leben und sind technisch hervorragend
ausgebildet. Die „alten Erfahrungsträ-
ger“ rücken durch die demografische
Entwicklung als Arbeitnehmer plötz-
lich auch wieder in den Fokus. Und in
den Unternehmen treffen sie dann in
ihrer Unterschiedlichkeit aufeinander
und stehen sich hierarchisch und per-
sönlich auf den Füßen.
Es gibt sicherlich noch weitere Beispiele,
aber fassen wir kurz zusammen: Wir
müssen dringend umdenken! Kompliziert
war die Welt schon immer, aber die meis-
ten Fragen waren mit Logik und einer
guten Ursache-Wirkungs-Kausalkette lös-
bar. In einer solch klar strukturierten Welt
waren die traditionellen Management-An-
sätze mit denkendem Management und
umsetzenden Mitarbeitern, klaren Vorga-
ben mit Karotten-Boni für unmotivierte
Mitarbeiter (Theorie X) sowie langen
Planungszyklen und Ressourcen-Denken
menschlich zwar auch schon falsch, aber
erfolgreich.
Die Welt ist immer noch kompliziert.
Doch jetzt ist sie dazu noch komplex. Die
Fragen von heute sind immer weniger mit
analytischer Logik oder tiefem Fachwis-
sen lösbar. Wir haben es mit Fragen zu
tun, auf die es keine eindeutig richtigen
Antworten mehr gibt. Wir müssen uns
diese Antworten heute schrittweise erar-
beiten, aus Fehlern schnell die richtigen
Lehren ziehen und aus Erfolgen die wich-
tigen Faktoren ableiten. Aber auf unseren
Erfahrungen können wir uns dann nicht
mehr lange ausruhen. Veränderungen
und ständiges Lernen: Darauf dürfen und
müssen wir uns einlassen.
Erfahrungen und Prinzipien
agiler Unternehmen
Wie sehen solche dynamikrobusten Un-
ternehmen nun aus, die agil und erfolg-
reich der Komplexität trotzen? Leider gibt
es keine fertigen Bauanleitungen für agile
Unternehmen, aber es gibt Muster, Erfah-
rungen und Prinzipien, die erfolgreiche
agile Unternehmen gemeinsam haben,
unter anderem:
• Agile Unternehmen bewegen sich weg
vom Silo- beziehungsweise Abteilungs-
denken mit den typischen Macht- und
Budgetkämpfen. Sie erschaffen Orga-
nisationen, die ihre Wertschöpfungs-
kette vom Kunden aus denken und die
Umsetzung in interdisziplinären sowie
crossfunktionalen (selbst-)verantwort-
lichen Teams ermöglichen. Das Unter-
nehmen ist auf den Kunden ausgerich-
tet und nicht auf die Geschäftsführung.
• Agile Unternehmen verstehen, dass
starre Regeln oder detaillierte Lang-
fristplanung einer flexiblen und schnell
reagierenden Organisation im Wege
stehen. Natürlich sind Orientierung
und grobe Eckpfeiler für eine gemein-
same Ausrichtung wichtig, der Fokus
agiler Unternehmen liegt jedoch mehr
auf agilen Prozessen, Werten und Prin-
zipien, um Handeln gemeinschaftlich
auszurichten. Unter diesen Prämissen
denkt man Organisation als kollaborati-
ves Netzwerk von Kundenteams. Dafür
braucht es vernetzte – auf Transparenz
und Vertrauen basierende – selbstorga-
nisierte und kooperative Zusammenar-
beit. (Mehr zu den Grundlagen agilen
Arbeitens lesen Sie im Agilen Manifest,
das US-Softwareentwickler im Jahr
2001 verfasst haben, auf Seite 29.)
• Weitere „Bauelemente“ beziehungs-
weise Prinzipien agiler Organisationen
sind Empowerment und Selbstorgani-
sation. Die Teams erhalten nicht nur
vollständige Transparenz und Kun-
denverantwortung, sondern dürfen
jetzt alle notwendigen Entscheidungen
selbstverantwortlich treffen, ihre Arbeit
selbst planen und auf der Basis eines
täglichen Austauschs alle Hindernisse
gemeinsam beseitigen. Die Teams
nutzen zur übergreifenden Synchro-
nisierung, zur Implementierung von
Verlässlichkeit gegenüber Stakeholdern
sowie zur Etablierung gemeinsamer
Planungs- und Lernprozesse einen ge-
meinsamen Arbeitsrhythmus, fest de-
finierte Verantwortungsrollen sowie
feste Meetings und Artefakte (zum Bei-
spiel Scrum). Es geht dabei um frühe
Bernd Rutz
ist Management
Consultant bei
der HR-Beratung
HR Pioneers. Dort
gestaltet und begleitet er agile Verän-
derungsprozesse, hält Vorträge und
veröffentlicht Fachartikel. Zuvor war
er Personalleiter der Arvato Infoscore
und verantwortete dort die strategi-
sche Ausrichtung von HR.
HR Pioneers
Wilhelmstr. 56-58, 50733 Köln
Tel. 0221 84681099
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