wirtschaft und weiterbildung 1/2016 - page 34

personal- und organisationsentwicklung
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wirtschaft + weiterbildung
01_2016
die Sprache. Die meisten Haitianer
sprechen Kreolisch. In internationalen
Hilfsorganisationen läuft die Kommuni-
kation hauptsächlich auf Englisch. Die
Mission 4636 reagierte auf diese Bedin-
gung, indem sie Übersetzer rekrutierte.
Ein Beispiel fur die Wechselbeziehung
zwischen Restriktion und System.
Systemdynamiken:
Auch im System
Mission 4636 herrschten Dynamiken.
Die einzelnen Initiativen verfolgten
(zunächst) unabhängig voneinan-
der einzelne Ziele, wie beispiels-
weise die Bevölkerung zu informie-
ren oder Kartenmaterial zu erstellen.
Sie taten das fur ein ubergeordnetes,
gemeinsames Ziel: Haiti bestmög-
lich durch die Katastrophe zu helfen.
Dieses gemeinsame Ziel hat es ihnen
ermöglicht, ihre Einzelziele zu kon-
solidieren und gegebenenfalls unter-
zuordnen. Nebenwirkungen und Re-
striktionen wurden bearbeitet, statt
sie uber Standpunkte zu verteidigen.
Die Mission 4636 zeigt, wie sich Sys-
temdynamiken nutzen lassen, um er-
folgreich zu sein. Ein zentraler Punkt,
Definition.
Was das im Einzelnen
bedeutet, zeigt die folgende, kurze
Definition. Holistisches Manage-
ment …
· betrachtet Beziehungen und
Zusammenhänge
· arbeitet auf der Mikro- (einzelne)
und Makroebene (System) gleich-
zeitig
· variiert die Skalierung der Betrach-
tung und wählt den passenden
Ausschnitt
· wechselt die Perspektiven der
Betrachtung und nimmt andere
Positionen ein
· schafft vollständige Transparenz
fur alle Beteiligten
· macht Veränderung möglich.
· findet immer wieder die Balance
zwischen Struktur und Flexibilität.
Holistisches
Management
von dem viele Organisationen lernen
können und sollten.
Selbstverständlich gibt es auch Kritik
an dem Projekt. Es wurden Fehler ge-
macht, Dinge nicht bedacht oder zu spät
vernetzt. Es gibt einige Lessons Learned
zur Optimierung. Aber dennoch ist diese
Mission ein einmaliges globales Gemein-
schaftsprojekt, das rund 50 Länder um-
spannte und seinesgleichen sucht. Und
ich frage mich: Hätte man die Mission
4636 im gewohnten Stil geplant und ge-
managt, welchen Beitrag hätte sie dann
wohl in welchem Zeitrahmen leisten kön-
nen?
In diesem Buch (mehr zum Buch, aus
dem dieser Ausschnitt stammt, lesen Sie
auf Seite 30) steht die Mission stellver-
tretend fur netzwerkorganisierten Erfolg,
der nicht durch ein stringentes Manage-
ment, sondern durch Selbstorganisation
entsteht. Selbstverständlich lässt sich
das Beispiel nicht 1:1 auf Ihre Organisa-
tion ubertragen, der Kontext ist ein völlig
anderer. Sie haben sehr wahrscheinlich
nicht die Gelegenheit, Ihre Organisation
neu aufzubauen, sie existiert ja bereits.
Komplexität lässt sich aber durchaus
auch in bestehenden Organisationen
meistern. Es gibt keine Organisation, fur
die das „nicht geeignet“ ist. Ein Rezept ist
aus der Mission 4636 nicht ableitbar, aber
sie enthält viele gute Anregungen fur den
Umgang mit komplexen Systemen. Diese
und die diversen Aspekte und Überle-
gungen aus den neun Kapiteln des Buchs
fasse ich fur Sie noch einmal zusammen
– in den Dos und Don’ts fur das Meistern
von Komplexität.
Im Prinzip:
Wir mussen lernen, „im Kon-
text“ zu managen. Ein Grund, warum es
keine Rezeptbucher fur den Umgang mit
Komplexität gibt, ist der Kontext. Jedes
Symptom, jedes Problem, jede Situation,
jede Aufgabe ist im jeweiligen Zusam-
menhang zu betrachten. Was damals oder
bei den anderen funktioniert hat, muss
heute nicht mehr unbedingt zum Erfolg
fuhren. Auch das Verhalten von Indivi-
duen sagt erst im Kontext ihres Agierens
etwas aus. Verabschieden Sie sich von
Schnelldiagnosen und Allgemeinplätzen,
Komplexität ist immer Zusammenhang.
Sehr persönlich:
Die folgenden Eigen-
schaften und Fähigkeiten helfen Ihnen
persönlich dabei, mit Komplexität leichter
umzugehen und sie erfolgreich zu meis-
tern:
• Mut – Neues auszuprobieren und dabei
Fehler zu machen
• Durchhaltevermögen – Wirkungen zei-
gen sich oft erst später
• Macht loslassen – Vernetzung und
Selbstorganisation zulassen
• Toleranz fur das Unbestimmte
• Selbstreflexion, Selbstreflexion, Selbst-
reflexion …
Fazit: Welche Antwort auf
Komplexität geben?
Wie nennt man nun die Form des Ma-
nagements, die den Umgang mit Kom-
plexität erfolgreich meistert? Das Kind
braucht einen Namen. Ich nenne sie
„holistisches Management“, im Sinne der
Ganzheitlichkeit. Dieses Management be-
trachtet Systeme nicht bloß als eine Zu-
sammensetzung einzelner Teile, sondern
als ein Ganzes. Dabei werden die Ein-
zelteile nicht ausgeblendet, sondern auf
einer anderen Ebene mitbetrachtet. Ein
System funktioniert immer auch als Gan-
zes und lässt sich uber die Summe seiner
Teile alleine nicht erfassen oder erklären.
Holistisches Management ist kein neuer
Stil und keine neue Methode. Ich verstehe
es als ein Bundel von Haltungen, Fähig-
keiten und Kompetenzen. Die Definition
möchte ich an dieser Stelle kurz halten
(mehr zum Konzept des holistischen Ma-
nagements lesen Sie im Kasten auf dieser
Seite sowie ab Seite 52).
Am Ende der Lekture angelangt, haben
Sie hoffentlich Ihr Verständnis von Kom-
plexität und ihren Folgen erweitert und
aktualisiert. Ich hoffe, Sie konnten mit ei-
nigen Irrtumern aufräumen und wertvolle
Impulse fur Ihre Arbeit als Manager und
Fuhrungskraft mitnehmen. Bleibt noch
eine letzte Frage: Brauchen wir wirklich
ein neues Management? Meine Antwort
darauf ist einfach und kurz: Ja. Ja, weil
ubliche Methoden nicht mehr greifen. Ja,
weil unsere Denkweisen in komplexen Si-
tuationen nicht hilfreich sind. Ja, weil wir
mit anderen Herausforderungen konfron-
tiert sind als noch vor einigen Jahrzehn-
ten. Eines steht fest: Die Welt hat sich be-
reits verändert. Jetzt sind wir dran!
In diesem Sinne: Bleiben Sie erfolgreich!
Stephanie Borgert
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