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wirtschaft + weiterbildung
01_2016
Schuld daran, dass ein Unternehmen im
übertragenen Sinn im „Coffin Corner“
landet, ist die traditionelle, weit verbrei-
tete BWL-Denke, die laut Karboul drin-
gend an unsere heutige Zeit angepasst
werden muss. Derzeit neigen viele Un-
ternehmen dazu, ihren Betrieb durch
immer besser werdende Arbeitsprozesse
und Kontrollmechanismen zu optimie-
ren. Alles ist auf Effizienzsteigerung
ausgerichtet: Ein (ehrgeiziges) Ziel wird
definiert. Alle verfügbaren Daten werden
analysiert. Auf dieser Basis wird ein Plan
verabschiedet. Alles, was danach kommt,
dient nur dazu, diesen Plan umzusetzen.
Abweichungen gibt es keine.
Wenn alles gut geht, dann führt diese
Vorgehensweise zu großer Effizienz.
„Gleichzeitig aber verlieren die Unter-
nehmen ihre Flexibilität“, warnt Karboul.
Da alles geplant und vorprogrammiert
ist und Planabweichungen sanktioniert
werden, fehlt den Unternehmen der
Handlungsspielraum, um schnell auf un-
vorhersehbare Situationen zu reagieren.
Ähnlich wie ein Pilot muss das Topma-
nagement hoffen, dass bloß keine Turbu-
lenzen auftreten. Im Jahr 1997 beichtete
zum Beispiel Hasso Plattner, der Mitbe-
gründer der Softwareschmiede SAP, auf
einer Veranstaltung, dass er jahrelang das
Internet nicht habe kommen sehen – aller
Warnungen einzelner Mitarbeiter zum
Trotz. Die permanente Optimierung des
Bestehenden habe ihn daran gehindert,
gelegentlich auch einmal nach links und
rechts zu schauen.
Unternehmen wie Nokia, Kodak, Pan
Am, Yahoo, Blackberry oder Xerox waren
in den 70er- und 80er-Jahren des letzten
Jahrhunderts sehr erfolgreich. Plötzliche
Turbulenzen gab es damals kaum. Neue
Technologien brauchten relativ lange, um
im Markt Fuß zu fassen und die Welt war
noch nicht so vernetzt, wie sie es heute
ist. Etablierte Unternehmen hatten durch
ihr Wissen und ihre Ressourcen enorme
Wettbewerbsvorteile. Der Flug im „Coffin
Corner“ war der gelebte Idealzustand.
Doch die Zeiten änderten sich. Schnell
kamen neue Technologien mit großen
Vermarktungspotenzialen auf. Heute wis-
sen wir alle aufgrund eigener Beobach-
tungen: Durch nur eine einzige App kann
04.
Storytelling kann die Scheu-
klappen aufzeigen, die die
Wahrnehmung
verengen.
05.
Storytelling ist die Alternative
zu
Big Data.
Bei Komplexität
hilft Allwissenheit nicht.
06.
Storytelling kann auf magische
Art das Unsichtbare
sichtbar
machen.
an den Flügeln abreißt und das Flugzeug
mit der Nase nach unten in Richtung Erd-
oberfläche stürzt. Der Handlungsspiel-
raum für den Piloten ist extrem einge-
schränkt. Den Luftraum knapp unter der
maximalen Flughöhe nennt man „Coffin
Corner“. Hier darf nichts Unvorhergese-
henes passieren.
Wer ein Verkehrsflugzeug besteigt,
braucht keine Angst vor dem „Coffin
Corner“ zu haben, denn schließlich be-
stimmen die Fluglotsen die Flughöhe
einer Maschine. Andererseits nehmen
die Berufspiloten das Phänomen „Coffin
Corner“ sehr ernst und üben im Rahmen
ihrer Ausbildung den entsprechenden
Notfall. Der kann zum Beispiel dann ein-
treten, wenn der Höhenmesser ausfällt
und man aus Versehen steigt statt sinkt.
Manager mit einer Metapher
überzeugen
„Den Coffin Corner gibt es nicht nur in
der Luftfahrt“, sagt Dr. Amel Karboul,
Organisationsberaterin und Gründerin
von „Change, Leadership & Partners“. Sie
hat gerade ein Buch geschrieben, das den
Titel „Coffin Corner – Warum auch die
besten Firmen abstürzen können“ trägt.
Auf sie geht zurück, dass der Begriff „Cof-
fin Corner“ jetzt auch als Metapher für
Unternehmen genutzt wird, die sich in
einer Todeszone aufhalten, wo maximale
Effizienz und gleichzeitig maximales Ri-
siko aufeinandertreffen. „Ausgerechnet
dort, wo wirtschaftlich gesehen alles
perfekt optimiert ist, besteht die höchste
Gefahr“, warnt die gebürtige Tunesierin.
„Flugkapitäne sind sich dieser Situation
bewusst und können entsprechend damit
umgehen. Bedauerlicherweise gilt das
nicht für die meisten Manager.“
R
Foto: Lisovskaya Natalia/The Picture Pantry/Corbis
Der Granatapfel.
Er hat viele gleichwertige, chaotisch angeordnete Kerne und
steht deshalb als Symbol für ein breites Denken in Alternativen.