wirtschaft und weiterbildung 1/2016 - page 23

eine ganze Branche recht schnell über-
flüssig werden.
Wie kann man verhindern, in den „Coffin
Corner“ zu geraten? Notwendig ist eine
neue Art des Denkens, für die Karboul
den Begriff „Granatapfel-Denken“ be-
nutzt. Ein Granatapfel hat nicht nur einen
Kern, sondern sehr viele unterschied-
liche, aber doch gleichwertige Kerne. Die
Botschaft an die Manager: Entscheidet
nie aufgrund nur einer Alternative. Es
gibt nicht den einen richtigen Weg. Sucht
viele unterschiedliche Wege, um ein Ziel
zu erreichen und akzeptiert, dass einige
Wege kurvig verlaufen oder sogar Um-
wege sind. Geradlinigkeit war gestern.
Karboul: „Das Granatapfel-Denken er-
möglicht uns, uns zu öffnen. Wir selbst
zu sein. Mensch zu sein.“ Und außerdem
hilft es dabei, Zweideutigkeiten anzuneh-
men, Widersprüche zu akzeptieren und
beides als Quellen von Inspiration zu be-
trachten.
Selbst Sattelberger verurteilt
„Effizienzfanatismus“
Karbouls Denkanstöße passen gut zur ak-
tuellen Diskussion, warum der Volkswa-
genkonzern so sehr in die Krise rutschen
konnte. Thomas Sattelberger, ehemaliger
Personalvorstand der Telekom AG, macht
im „Handelsblatt“ einen „Effizienzfana-
tismus ohne innere Werte“ dafür verant-
wortlich. Bei VW müsse das System der
Zielsetzung, der Beförderung, der Vergü-
tung und der Privilegien radikal überprüft
werden. Ein völlig neues Führungstrai-
ning müsse für „offene Reflexion und
Selbstkritik“ sorgen.
Überraschend ist auch, wie sehr Karbouls
Ausführungen das Buch „Schwarm-
dumm“ (Campus Verlag, 2015) von Gun-
ter Dueck ergänzen. Der Mathematikpro-
fessor und ehemalige IBM-Manager weist
mit einer Formel nach, dass die optimale
Auslastung eines Unternehmens bei 80
Prozent liegt und 100 Prozent Auslastung
bei der kleinsten Störung – mangels Zeit-
und Kapazitätspuffer – direkt ins Chaos
führen. Dass Chefs auf die Überlastung
einer Abteilung in der Regel mit einer ver-
schärften Überwachungsbürokratie rea-
gieren, hält Dueck für besonders dumm.
Während Dueck seine Argumente mathe-
matisch herleitet, setzt Karboul auf Sto-
rytelling. Ein Topmanager aus dem Thys­
sen-Krupp-Konzern schreibt über „Coffin
Corner“: „Ein Buch, so überraschend
würzig wie ein Mokka auf einem orien-
talischen Basar“. Karboul versteht es, ihre
Botschaft in nachvollziehbare (und noch
dazu bei Technikern und bei Vorständen
anschlussfähige) Metaphern zu kleiden.
Im Gegensatz zu amerikanischen Gurus
verkneift sie sich Superlative im Stil von
„Der schlimmste Tag in meinem Leben
war, als ich ...“. Sie erzählt leidenschaft-
lich – ohne dass es übertrieben emotio-
nal klingt. Und oft sind die Geschichten
magisch, weil wir miterleben dürfen, dass
gute Problemlösungen davon abhängen,
dass sich die Herzen der beteiligten Ak-
teure berühren. Als Trainingsmaßnahme
für Führungskräfte setzt Karboul übrigens
gerne auf „Learning Journeys“. Frei nach
dem Motto: „Wer eine Reise tut, verän-
dert sich automatisch und hat anschlie-
ßend bestimmt viele Geschichten zu er-
zählen“.
Martin Pichler
Buchtipp.
Das Buch „Coffin Corner“ von
Amel Karboul ist im Oktober 2015 im
Midas Verlag in Zürich erschienen (224
Seiten, 24,90 Euro).
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