wirtschaft und weiterbildung 4/2015 - page 47

04_2015
wirtschaft + weiterbildung
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Instrumenten wie Fragebögen und Tests
und die Arbeit mit bestimmten Coaching-
Tools stehen im Vordergrund. Die Kraft
und Wirksamkeit dieser Kommunikati-
onswerkzeuge wird dabei den Werkzeu-
gen selbst zugeschrieben und weniger
der Person, die sie nutzt oder dem Zu-
sammenhang, in dem sie angewendet
werden. Aus dieser Sichtweise resultie-
ren dann Konzepte wie etwa die „Füh-
rungskraft als Coach“ und die meisten
der sogenannten Bindestrich-Coachings
wie etwa, Gesundheits-Coaching oder
Ernährungs-Coaching sowie Coaching-
Ansätze, die sich stark auf eine Methode,
ein Testverfahren oder ein spezifisches
Persönlichkeitsmodell fokussieren.
Bedeutsamkeit des Kontextes
beachten
Die andere Strömung, die ich an dieser
Stelle als das „Professionelle Coaching“
bezeichnen möchte, setzt Methoden spar-
sam ein, ist dabei offen für unterschiedli-
che Zugänge und Schulen und orientiert
stärker auf die Herstellung eines professi-
onellen Kontextes, in dem das Coaching
geschieht und setzt damit stärker auf die
Beziehung zwischen Coach und Klient.
Diese Bedeutsamkeit des Kontextes, in
dem Lernen und Veränderung geschehen
soll, wurde bereits von dem Philosophen
und Kybernetiker Gregory Bateson, der
großen Einfluss auf die System- und Fami-
lientherapie hatte, eingehend betrachtet
und durch den Begriff der Kontextmarkie-
rungen hervorgehoben. Die Betrachtung
und bewusste Herstellung eines Kontex-
tes ist auch für das Coaching von immen-
ser Bedeutung, damit ein Raum - ein Con-
tainer - entsteht, in dem sich Klienten auf
der Basis von Vertrauen auf Lernen und
Veränderung einlassen. Professionelles
Coaching arbeitet bewusst mit der Her-
stellung eines Coaching-Kontextes durch
entsprechende Kontextmarkierungen. Die
wichtigsten sind:
• ein professionelles Auftreten und eine
entsprechende Qualifikation und Kom-
petenz des Coachs
• eine sorgfältige Auftragsklärung
• die Abwesenheit von Bewertung
• die Vermeidung von Kontextvermi-
schungen (zum Beispiel gleichzeitig
Führen und Coachen)
• ein bewusstes, transparentes und loy-
ales Agieren (zum Beispiel wenn beim
Coaching für Organisationen Auftrag-
geber und Klient nicht dieselbe Person
sind)
• Allparteilichkeit bezüglich der beteilig-
ten Personen, der Anliegen, der Verän-
derung und der Lösungen
• das Herstellen von Vertrauen und Ver-
traulichkeit
• eigene innere und finanzielle Unabhän-
gigkeit von Klientensystemen
• das Ermöglichen von Beziehungsqua-
litäten wie Präsenz, Nähe, Wertschät-
zung, Kongruenz
• die Akzeptanz sowie die Bewusstheit
über die Grenzen und Baustellen der
eigenen Person.
Diese Qualitäten und Verhaltensweisen
markieren einen Kontext, in dem autopoi-
etische Klientensysteme kommunikative
Impulse für Veränderungen wohlwollend
aufnehmen und dann auch verarbeiten
können.
Fazit:
Coaching in seiner Vielfalt von For-
maten, Themen und Angeboten, mehr
oder weniger professionell erbracht,
scheint die Antwort auf die Herausfor-
derungen des „Psychozeitalters“ zu sein,
welches gleichzeitig von der Erkenntnis
geprägt ist, dass sich psychische und so-
ziale Systeme nur aus sich selbst heraus
nachhaltig verändern können. Somit ist
Coaching zunächst als ein Angebot zu be-
trachten, welches Menschen und sozialen
Systemen dabei hilft, mit den enormen
psychischen, das heißt kognitiven und
emotionalen Anforderungen der Selbst-
gestaltung zurecht zu kommen, also als
Begleitung, Unterstützung und die Ent-
wicklung von Handlungsmöglichkeiten
in einer komplexen Welt mit vielfältigen
und diffusen (Rollen-)anforderungen. Es
gibt aber auch die andere Seite: Coaching
bietet und biedert sich ebenfalls an, im
Prozess der vermeintlich gesellschaftlich
geforderten Selbstoptimierung des Einzel-
nen im sozialen Vergleich in der „Diktatur
der Freiheit“ als Werkzeug der Psychopo-
litik zur Verfügung zu stehen. Wir Coa-
ches sind an dieser Stelle gefordert uns
zu verorten, sei es als Angehörige einer
Profession oder als User eines Tools, als
Begleiter oder als Optimierer. Natürlich
sind die Übergänge wie immer fließend,
die Extrempole jedoch können uns Orien-
tierung im Handeln geben.
Dr. Thomas Bachmann
Veranstaltungstipp.
Am 8. Mai 2015 soll auf dem 6.
Berliner Coachingtag im Soho House Berlin gemeinsam
mit Experten darüber gestritten werden, wie Coaching als
„Beziehungskunst“ auf Basis von Kontakt, Begegnung
und Dialog seine Wirkungen entfalten kann. Der Tag wird
gestaltet durch Workshops und Gespräche mit Dr. Wolf-
gang Looss, dem Pionier des Coachings im deutschspra-
chigen Raum, Dr. Thomas Stölzel, Coach, Philosoph und
Autor, Dr. Christoph Schmidt-
Lellek, Coach, Therapeut,
Supervisor, Autor sowie Dr.
Thomas Bachmann als Vertre-
ter des Veranstalters, der Artop
GmbH, Berlin. Anmeldeschluss
ist der 15. April 2015.
Dr. Wolfgang Looss kommt
Coachingtag 2013.
Diskussion
mit Klaus Eidenschink (Mitte).
Foto: Artop
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