wirtschaft und weiterbildung 4/2015 - page 46

training und coaching
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wirtschaft + weiterbildung
04_2015
postuliert ganz allgemein und gleichzeitig
sehr pragmatisch drei theoretische Eck-
pfeiler, die das Beschreiben, Erklären und
Bewerten und somit das Agieren von Be-
ratungspersonen im Prozess mit ihren Kli-
entensystemen mehr oder weniger expli-
zit konfigurieren: Eine Theorie der Sache
(a theory of the thing), eine Theorie der
Veränderung (a theory of how the thing
changes) und eine Theorie der Interven-
tionen (a theory of how one intervenes).
Dieses Modell soll uns im Folgenden dazu
dienen, dem Identitätskern von Coaching
näher zu kommen.
Den Kern von Coaching
freilegen
1.
A theory of the thing:.
Worauf bezieht sich Coaching? Wer ist der
Klient? Welche Klientensysteme gibt es?
Der deutsche Soziologe und Systemthe-
oretiker Niklas Luhmann unterscheidet
psychische Systeme (Personen), Interakti-
onssysteme (wie Paarbeziehung) und so-
ziale Systeme (Gruppen, Organisationen).
Für alle drei Systemtypen haben sich mitt-
lerweile spezifische Coaching-Angebote
entwickelt. Für Luhmann haben diese
Systeme eine Gemeinsamkeit: Sie sind als
autopoietische Systeme zu begreifen, die
ihr Werden aus sich selbst heraus selbst-
referentiell und operational geschlossen
betreiben. Diese autopoietische Systeme
organisieren sich selbst, produzieren ihre
Eigendynamik und sie sind nur durch
Kommunikation zu erreichen bezie-
hungsweise entstehen durch die Kommu-
nikation psychischer Systeme. Für sie alle
gilt der wunderbare Satz von Wolfgang
Looss: „Der Einfluss des einen endet am
Trommelfell des anderen“.
2.
Theory of how the thing changes.
Wenn wir die Theorie der autopoietischen
Systeme als nützlich für die Beschreibung
von Klientensystemen annehmen, folgt
daraus eine weitreichende Implikation für
die Theorie der Veränderung: Wenn sich
autopoietische Systeme aus sich selbst
heraus erschaffen und entwickeln, das
heißt in ihrem Werden selbstreferenti-
ell und operational geschlossen agieren,
können sie sich auch nur aus sich selbst
heraus verändern. Die Veränderung kann
nicht von außen zugeführt oder instruiert
werden. Eine Intervention ist aufgrund
der operationalen Geschlossenheit nicht
möglich, man kann nicht „dazwischen
gehen“, sondern nur Impulse setzen, die
vom System beantwortet oder ignoriert
werden. Autopoietische Systeme leben
jeweils in ihrer eigenen Wirklichkeit, ihr
Verhalten ist von ihren inneren Strukturen
determiniert, die von außen nicht zugäng-
lich sind. Diese Annahmen über die Ver-
änderung autopoietischer Systeme hat be-
reits implizit und explizit in viele Bereiche
unseres Lebens Einzug gehalten: „Man
kann den anderen nicht verändern, es ist
schon schwer genug sich selbst zu än-
dern.“ So könnte das Motto lauten, wel-
ches jeder in unserer auf das Psychische
orientierten Gesellschaft täglich aufs Neue
erfährt. Wir lernen, wenn auch langsam,
dass ein instruktives, belehrendes Vorge-
hen oftmals keine, nur scheinbare oder
geringe Erfolge beim Verändern, das heißt
beim Lernen von anderen Personen oder
sozialen Systemen hat.
Das Scheitern der frontalen Pädagogik,
der normativen Erziehung, der Exper-
tenberatung oder der autokratischen
Führung sind nur einige Beispiele, die
zunehmend von anderen Konzepten, wie
zum Beispiel der konstruktivistischen
Didaktik, der Prozessberatung oder der
systemischen Führung abgelöst werden.
Wir lernen, dass es leichter geht, wenn
wir andere (egal ob Personen oder sozi-
ale Systeme) akzeptieren, wertschätzen
und einbeziehen, Impulse setzen, ent-
wicklungsförderliche Kontexte kreieren
und klare Strukturen und Erwartungssi-
cherheit schaffen. Wir lernen Feedback
zu geben, Ich-Botschaften zu formulieren
sowie eine Metakommunikation zu füh-
ren. Und wir lernen auch, über unsere
Gefühle zu reden. Das Psychozeitalter
ist unweigerlich angebrochen und ein
damit einhergehendes, neues Verständnis
davon, wie Veränderung bei anderen an-
gestoßen werden kann.
3.
Theory of how one intervenes.
Übernimmt man diese Theorie der Ver-
änderung, die sich aus der Theorie der
autopoietischen Systeme ergibt, ist es nur
noch ein kleiner Schritt, die sich aus ihr
ergebenden „Interventionen“ zu charak-
terisieren: Das Gemeinsame aller Vorge-
hensweisen und Methoden im Coaching
ist es, Hilfe zur Selbsthilfe zu geben. Oder
wie Edgar Schein es sagt: „… giving so-
meone the ability to do something that
they cannot do for themselves.“ Es geht
also darum, Klientensysteme dabei zu
unterstützen, die Dinge selbst in die Hand
zu nehmen, die eigene Entwicklung, das
eigene Wachstum zu gestalten und dafür
Verantwortung zu übernehmen.
Die Beziehung zwischen Coach und Kli-
ent, der Prozess, die Methoden, alles
im Coaching ist darauf ausgelegt, Ver-
änderungen aus dem Klientensystem
selbst heraus zu initiieren. Der Common
Ground ist gekennzeichnet durch die Ab-
wesenheit von Ratschlägen, Expertenwis-
sen, Bewertungen, instruktivem Agieren
und normativer Dominanz. Alle Coa-
ching-Varianten sind darauf angelegt, Be-
ziehung herzustellen, Anschluss an das
Klientensystem in seinem spezifischen
Sein zu ermöglichen, zu beschreiben und
verstehen, Perspektiven zu erweitern und
neue Impulse, sei es durch Irritation oder
Konfrontation, zu setzen. Die Auswahl
der sich daraus ergebenden Handlungen
bleibt dann dem Klientensystem überlas-
sen. Im Sinne von Byung-Chul Han, steht
der Klient an diesem Punkt wieder allein
da mit seiner Freiheit, jedoch mit mehr
innerer Klarheit, mehr Informationen und
mehr Möglichkeiten, sich zu entscheiden.
Zwei Strömungen auf dem
Markt für Coaching
In der Welt der Coachs und des Coa-
chings haben sich in den letzten Jahren
trotz der Heterogenität und Vielfalt zwei
Hauptströmungen herausgebildet. Beide
agieren auf dem oben beschriebenen
Common Ground von Coaching, un-
terscheiden sich jedoch stark darin, in-
wieweit sie im Coaching bewusst einen
entwicklungsförderlichen Lern- und Re-
flexionskontext herstellen beziehungs-
weise diesen überhaupt als bedeutsam
betrachten. Entsprechend wird Coaching
von der einen Strömung eher als eine Me-
thode oder ein Tool betrachtet, welches
(fast) jede Person, in (fast) jeder Situa-
tion mit (fast) jedem Klienten anwenden
kann. Coaching wird vor allem als ein
kommunikatives Werkzeug verstanden:
Gesprächstechniken, Fragetechniken,
Beziehungstechniken, der Einsatz von
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