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04_2015
wirtschaft + weiterbildung
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Antwort auf diese Frage, ist die Suche
nach dem Common Ground, dem ge-
meinsamen semantischen Bezug, dem
Identitätskern von Coaching und diese
Suche gestaltet sich nicht so einfach. Si-
cherlich könnte man diesen Text genau
an dieser Stelle beenden, indem man
sich darauf verständigt, dass all diese
Coaching-Varianten und -Spielarten ein-
fach eine Modeerscheinung sind und dass
sich Leistungen eben besser „verkaufen“,
wenn sie sich mit dem Coaching-Label
schmücken können.
Was haben alle Coaching-
Angebote gemeinsam?
Das sind sicher brauchbare Erklärun-
gen. Doch allzu einfach wollen wir es
uns nicht machen. Vielleicht lohnt es,
genauer hinzusehen. Was haben ein Ma-
nagement-Coach und ein Paar-Coach ge-
meinsam? Was sind die Übereinstimmun-
gen zwischen Organisations-Coaching
und Life-Coaching? Was sind Qualitäten,
Vorgehensweisen und Methoden, die
ein Coaching themen-, zielgruppen- und
kontextunabhängig charakterisieren?
Oder einmal andersherum gefragt: Was
könnte sich in der Erbringung all dieser
Beratungs- und Unterstützungsformate in
den letzten Jahren verändert haben, dass
sie nun die Bezeichnung Coaching ver-
dienen?
Wahrscheinlich lassen sich diese und
noch weitere Fragen nach Gemeinsam-
keiten in diesem Zusammenhang nur
schwer beantworten, denn zu groß ist
inzwischen die Vielfalt, als dass sich Coa-
ching über die Zielgruppe, die Anlässe,
die Anliegen, das Setting beziehungs-
weise das Format, den Kontext, das Feld
oder die Branche, den Coachenden, die
Beziehung zwischen Coach, Klient und
Auftraggeber, den Prozess, die Methoden
oder die Inhalte definieren ließe. Und wie
kann man sich als Kunde oder Klient in
dieser Vielfalt orientieren? Was ist pro-
fessionelles Coaching? Wenn es bei der
Untersuchung eines Phänomens nicht ge-
lingt, durch detailliertes Beschreiben und
Unterscheiden das verbindende Muster in
einer immensen Vielfalt von Merkmalen
und Interaktionen zu erkennen, kann es
hilfreich sein, den Beobachtungsabstand
zu vergrößern beziehungsweise sich an-
dere Landkarten zuzulegen. Oder beides.
Die Anzahl der „Likes“ als
neue soziale Währung
Nehmen wir zunächst etwas mehr Ab-
stand: Der koreanisch-deutsche Philo-
soph Byung-Chul Han analysiert in sei-
nem neuen Werk „Psychopolitik“ (Verlag
S. Fischer 2014) den gesellschaftlichen
Wandel von der körperlichen Disziplinie-
rung und Optimierung der bürgerlichen
kapitalistischen Gesellschaften zum Bei-
spiel extrem verkörpert durch den Taylo-
rismus, hin zum Selbstgestaltungs- und
Optimierungsdruck, dem die Menschen
unter dem Diktat der Freiheit und Ent-
grenzung in der postmodernen neolibe-
ralen Welt ausgesetzt sind: Wissensarbeit
statt Körperarbeit, Psyche statt Organis-
mus, Gefühl statt Ratio, Intuition statt Al-
gorithmus. Die Anzahl der „Likes“ und
der Kontakte gilt als neue soziale Wäh-
rung.
Diese kritische Sichtweise auf die großen
gesellschaftlichen Umwälzungen im Zeit-
alter der Informationstechnologien, der
sozialen Netzwerke und Internetgiganten,
soll uns den nötigen Abstand bei der Be-
obachtung des Phänomens Coaching er-
möglichen. Das Zeitalter der psychischen
Optimierung und der immer bedeutsa-
mer werdenden Wahrnehmungs-, Ent-
scheidungs- und Handlungskompetenz
sozialer Systeme wie Gruppen, Teams
und Organisationen unterscheidet sich
darin von der vorangegangenen Epoche
der körperlichen Disziplinierung und Op-
timierung des menschlichen Organismus
bei dessen Implementierung in Arbeits-
und Leistungsprozesse, wie sie noch im
letzten Jahrhundert im Vordergrund stan-
den. Coaching in all seinen Spielarten, in
(fast) allen menschlichen Lebens- und
Arbeitsbereichen, scheint die passende
Antwort auf die Hinwendung der Evolu-
tion auf das Psychische und das Soziale
(Netzwerk) zu sein.
Nun können wir im nächsten Schritt an-
dere Landkarten zur Hand nehmen: Der
amerikanische Psychologe, Therapeut
und Managementberater David Kantor
Dr. Thomas
Bachmann,
Diplom-Psycho-
loge, Gründungs-
mitglied
und
Seniorpartner der Artop GmbH, Bera-
tungs-, Ausbildungs- und Forschungs-
institut an der Humboldt-Universität
zu Berlin auf dem Gebiet der Perso-
nal- und Organisationsentwicklung
und Usability. 1997 erfolgte eine
Promotion in der Kognitiven Psycholo-
gie. Seit 1993 Berater und Coach für
Organisationen, Führungskräfte und
Teams. Seit 2004 ist er Senior-Coach
beim Deutschen Bundesverband
Coaching (DBVC). Seit 2001 arbeitet
er als Ausbilder und Lehrtrainer für
Coachs und Berater.
Artop GmbH
Institut an der Humboldt-Universität
zu Berlin
Christburger Str. 4, 10405 Berlin
Tel. +49 30 4401299-0
AUTOR
Werkzeugkasten.
Für viele Manager
zeichnet sich ein effektiver Coach
dadurch aus, dass er auf einen
gut gefüllten Werkzeugkasten
zurückgreifen kann. Doch
„Coaching-Tools“ sind nicht alles.