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wirtschaft + weiterbildung
04_2015
titelthema
R
der Karriere zugunsten der Kinder und
die jungen Männer zahlen einen emoti-
onalen Preis für ihre Anpassung an das
männliche Führungsstereotyp.
Assessments vernachlässigen
„weibliche“ Stärken
Führungskompetenzen, in denen post-
patriarchale Männer stark sind, werden
nicht als führungsrelevant betrachtet.
Aufgrund der tradierten Vorstellungen
fallen diese Männer denjenigen, die über
Besetzungen zu entscheiden haben, über-
haupt nicht ins Auge. Die Gründe dafür
sind:
• Weil das tradierte Führungsstereotyp
Dominanz und Konkurrenzverhalten
erwartet, werden die oft hohen Leistun-
gen der Gruppensteuerung, die team-
orientierte Menschen erbringen, nicht
erkannt. Dadurch haben sie weniger
Chancen, als Führungspotenzial wahr-
genommen zu werden. Dies dürfte ein
wesentlicher Grund sein, warum selbst
erfolgreiche Projektleiter in Karriere-
Sackgassen landen – ganz entgegen
dem vielfach in Unternehmen propa-
gierten Konzept der Projektlaufbahn als
neuem Aufstiegsmuster.
• Entsprechend kommen laut Monika
Henns Untersuchung („Die Kunst des
Aufstiegs“, Campus Verlag 2008) team
orientierte Männer oft nicht einmal für
Führungsaufgaben im mittleren Ma-
nagement infrage, während teamorien-
tierte Frauen dafür noch gerne ausge-
wählt werden.
• Die Konkurrenzkultur selektiert auch
dadurch, dass kooperationsorientierte
Menschen in ihr nicht „mitspielen“,
sondern sich wenn möglich auf Ni-
schen zurückziehen und für die Aus-
wahl „unsichtbar“ werden.
• Männer, die nicht durch Durchset-
zungsstärke und Belastbarkeit auffal-
len, werden bereits für das untere und
mittlere Management seltener ausge-
wählt, so ein weiteres Studienergeb-
nis von Monika Henn. „Verträglichen“
Männern werden solche Positionen we-
niger angeboten.
• Männern, die nicht genug „Härte“ zei-
gen, dürfte es kaum anders ergehen als
den Frauen, die mangels Härte für un-
geeignet gehalten werden.
• Ein geringeres Interesse an Statussym-
bolen wird bei Frauen als Mangel an
Führungsmotivation fehlgedeutet. Das
dürfte Männern, die auf Statussymbole
keinen Wert legen, genauso ergehen.
• Bei Assessment-Centern ist fraglich,
welchem Führungsbild die Auswahl
der Aufgaben und der Beobachtungs-
kriterien folgt („weibliche“ Kompe-
tenzen werden oft nicht erfasst, berich-
tet Cornelia. Edding in dem Fachartikel
„Geschlossene Gesellschaft?“ in der OE
4/2014). Sich kürzer zu fassen, mehr
zuzuhören, mehr Fragen zu stellen und
weniger zu behaupten, ist an sich ein
teamförderndes Verhalten – aber es
entspricht nicht dem männlichen Füh-
rungsstereotyp von Sichtbarkeit und
Dominanz und Lautstärke.
• Das traditionelle Führungsstereotyp im-
pliziert ein generelles, situationsunab-
hängiges Machtstreben und verwech-
selt dieses mit Führungsmotivation. Für
das Erkennen von Führungsmotivation
genügt es nicht, sich durch machtan-
sprüchliches Gehabe in Sitzungen oder
kurze Beobachtungsausschnitte eines
Assessment Centers beeindrucken zu
lassen. Vielmehr können solche Füh-
rungstalente nur durch eine differen-
zierte, längere Beobachtung des Team
alltags identifiziert werden.
• Kooperatives Verhalten wird als Füh-
rungskompetenz nicht wahrgenom-
men, weil es zum Wesen echter Team-
arbeit gehört, dass der Beitrag des Ein-
zelnen von außen (ja selbst von innen),
wenn, dann nur mit einem dafür sensi-
tiven Blick erfasst werden kann.
Ergänzt und vervollständigt werden
diese Selektionsmechanismen, die diese
„gläserne Decke“ ausmachen, durch die
Ausschlusstendenzen der männerbünd-
nerischen Kultur einer beträchtlichen
Zahl von Führungsgremien. Rituale und
spezielle Kommunikationsmuster, spe-
zifische Small-Talk-Themen, Trinkge-
wohnheiten oder Witze dienen dabei
dem Ausschluss von „Out-Sidern“, selbst
wenn diese formal dazugehören. Es be-
stehen kaum Aussichten, dass diese Si-
tuation des Ausschlusses sich verändern
wird, denn diese soziodynamischen
Mechanismen sind gegenüber Verände-
rungsimpulsen von außen wie auch aus
den eigenen Reihen weitgehend resistent:
Die Entscheider halten den Status quo
aufrecht und Einzelne andere müssen
sich anpassen. Wendet man die „Kanal-
theorie“ des großen Psychologen und
Gruppendynamikers Kurt Lewins auf
die Frage „Wie kommen Führungskräfte
in den Vorstand?“ an, dann zeigt sich
Folgendes: Diejenigen, die die verschie-
denen Aufstiegs-„Kanäle“ kontrollieren
und über das Fortkommen der Einzelnen
darin entscheiden, sind aufgrund ihrer
eigenen sozialpsychologischen Situation
unbewusst am Erhalt des Status quo in-
teressiert und weniger daran, Neue in
ihre Kreise aufzunehmen. Gerade in sich
wandelnden Zeiten ist „Nur keine Expe-
rimente!“ die Devise und so wird in den
sicher sensiblen Bereichen von Führung
lieber nichts Neues ausprobiert.
Anpassungsdruck stabilisiert
das System
Andersartigkeit führt in Gruppen leicht
in eine Außenseiterposition. Für die Be-
troffenen bedeutet das einen enormen
ständigen emotionalen Stress, der die ko-
gnitiven, kreativen wie sozialen Kapazi-
täten der Person beeinträchtigt. Vor allem
in homogenen Gruppen, wie es die Füh-
rungsgremien aufgrund ihrer Selektions-
mechanismen oft sind, ist es deshalb für
Einzelne kaum möglich, über längere Zeit
eine solche Außenseiterposition auszu-
halten und die eigene Andersartigkeit zu
bewahren. Über kurz oder lang werden
sie sich anpassen – oder gehen müssen.
Dieser Anpassungsdruck ist umso höher,
je homogener die Gruppe ist. Weil An-
derssein immer auch eine Bedrohung
der Gruppenidentität darstellt, ist der
Anpassungsdruck auch umso höher, je
unsicherer ihre Situation ist, und er steigt
mit der Hierarchieebene. Diese Erfahrung
haben im vergangenen Jahr eine große
Zahl von Top-Führungsfrauen gemacht
und ihre Konsequenzen gezogen: sie gin-
gen. Thomas Sattelberger hat das in der
Süddeutschen Zeitung (18.8.2014) ein-
drucksvoll beschrieben. Der SZ-Artikel
hieß: „Frauenschwund mit System. Fünf
Thesen dazu, warum so viele Vorstands-
frauen in Dax-Unternehmen nach kurzer
Zeit gehen mussten.“
Doch gerade die Andersartigkeit wäre der
nötige „Stachel“ für die Weiterentwick-