wirtschaft und weiterbildung 4/2015 - page 26

personal- und organisationsentwicklung
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wirtschaft + weiterbildung
04_2015
kurzfristige Ziele einzuhalten, und genü-
gend „Exploration“, um die Zukunft zu
gestalten. Apple ist wohl mit Sicherheit
ein beeindruckendes Beispiel dafür. Das
heutige Mac-Book „Air“ lässt sich auf
den Apple-Computer „Lisa“ aus dem Jahr
1983 zurückführen. Es ist also ein Er-
gebnis von „Exploitation“. Im Gegensatz
dazu sind die Einführungen von I-Pod
und I-Phone auf Basis von „Exploration“
entstanden.
Strukturelle Ambidextrie
Wie gelangt man zu einer solchen Beid-
händigkeit? Welche organisationalen
Strukturen sind dafür nötig? Viele Unter-
nehmen gehen den Weg der strukturellen
Ambidextrie: Sie trennen das bestehende
Geschäft ganz bewusst vom Neugeschäft.
Meist führt eine Historie zu diesem Lö-
sungsansatz, die immer ein ähnliches
Muster aufweist: Jedes Jahr stellt das
Top-Management das Thema „Innova-
tion“ auf die Agenda und fordert die Füh-
rungskräfte und Mitarbeiter auf, „Out-
side the Box“ zu denken und Vorschläge
einzubringen. Doch dann folgt meist der
Beweis, dass Peter Drucker Recht hatte
mit seiner Beobachtung „People do not
what is expected, they do what is ins-
pected“ (Menschen tun nicht, was von
ihnen erwartet wird, sondern was über-
prüft wird). Das heißt, unter dem Strich
werden die zur Innovation angespornten
Mitarbeiter sich darauf fokussieren, die
kurzfristigen Leistungsdaten zu liefern.
Das führt in der Regel zu Innovation im
„Exploitation“-Modus. Nach einigen Ite-
rationen dieses Vorgehens wird das Top-
Management nervös, weil eben keine
„Out Of The Box“-Ideen verfolgt werden
und die große Gefahr der Disruption
durch neue Wettbewerber droht.
Viele Unternehmen in Europa legen
an dieser Stelle noch einen Zwischen-
schritt eint: Der CEO besucht das „Sili-
con Valley“. Dort realisiert er dann: „Das
kriegen wir ja nie hin... insbesondere
nicht innerhalb unserer aktuellen Orga-
nisationsstruktur“. Darum fällt dann die
konsequente Entscheidung, eine neue
Einheit einzuführen – weit weg vom Ta-
gesgeschäft, damit diese in Ruhe arbeiten
kann, ohne von der alten Denke beein-
flusst zu sein. Die Leiter dieser Abteilung
kommen genauso konsequent unbedingt
von außerhalb der Branche, um den Wis-
senstransfer zu ermöglichen. Die Einheit
wird dann organisational so nah wie
möglich am CEO angebunden.
Kontextuelle Ambidextrie
Es gibt aber auch eine Alternative zu
diesem Weg. Statt der strukturellen,
können sich Unternehmen auch für die
kontextuelle Ambidextrie entscheiden.
Bei diesem Ansatz geht man davon
aus, dass die Führungskräfte selbst ent-
scheiden, ob sie im „Exploitation“- oder
„Exploration“-Modus handeln müssen.
Für die Führungskräfte bedeutet das
konkret: Im „Exploitation“-Modus müs-
sen sie klare Ziele und Meilensteine fest-
legen, die Feedback-Kultur leben und
bei Minderleistung Fehler bestrafen. Im
„Exploration“-Modus hingegen geht es
vor allem um den Umgang mit Unsicher-
heit: Ein Explorationsprojekt kann er-
folgreich oder nicht erfolgreich sein. Die
einzige klare Spielregel, die es zu beach-
ten gilt: Man betreibt Exploration für den
Zeitraum X (zum Beispiel drei Monate).
Danach folgt eine klare Empfehlung zur
Einstellung („kill“) oder zur gezielten
Weiterentwicklung („accelerate“). Das
funktioniert nur, wenn man zu Beginn
eines Explorationsprojekts nicht nach
dem ROI fragt. Das ist der entscheidende
Unterschied: Exploitation-Projekte ohne
klare ROI-Indikation sollten nicht gestar-
tet werden. Beim Explorationsprojekt darf
man die ROI-Frage nicht am Anfang stel-
len, denn die Antwort kennt zu diesem
Zeitpunkt niemand. Diese Frage muss
aber unbedingt beantwortet werden,
wenn es nach drei Monaten um die Ent-
scheidung „Kill or Accelerate“ geht.
Die Folgen in der Organisation
Sowohl die strukturelle als auch die kon-
textuelle Lösung haben ihre Vor- und
Nachteile. Die strukturelle Lösung geht
erst einmal schnell und lässt sich mit
wenigen Federstrichen implementie-
ren. Darum ist es nicht verwunderlich,
dass viele Organisationen genau diesen
Weg wählen. Aber lassen Sie uns die-
sen Lösungsansatz einmal exemplarisch
durchspielen: Die Geschäftsleitung hat
beschlossen und verkündet, dass es ab
sofort die neue Explorationseinheit gibt,
die sich explizit den Herausforderungen
disruptiver Innovation in der Branche
widmen wird. Die neue Einheit berichtet
direkt an den CEO – außerhalb der nor-
malen Forschungs- und Entwicklungs-
strukturen. Als Leiter der neuen Einheit
wird eine organisationsfremde Person
gewählt, die entsprechende Erfahrungen
und Erfolge vorweisen kann. (Die inter-
nen Kandidaten hatten ja lange genug
Zeit, sich zu zeigen.) Das Leitungsteam
kommuniziert an alle Stakeholder – ins-
besondere Investoren – die Tatsache, dass
es die Situation im Griff hat: Wir sind fo-
kussiert, eine Gruppe kümmert sich um
das Tages-(Kern-)Geschäft, die andere
Gruppe um Exploration in neuen Märk-
ten und Technologien. Die Reaktion der
bestehenden Organisation kann man sich
leicht vorstellen: „Okay, wir kümmern
uns um das Kerngeschäft, warten wir
mal ab, was von den Future-Leuten so
kommt.“ Die Konsequenz ist nicht min-
der leicht zu prognostizieren: Dienst nach
Vorschrift – für die neuen Sachen ist die
neue Einheit zuständig.
Wenn dann das Explorationsteam zum
Zeitpunkt X mit Lösungsvorschlägen
kommt, ist die Reaktion der restlichen
Organisation: „Wo kommt denn das jetzt
her?“ Man kann dann miterleben, wie der
Rest der Organisation sich darauf einrich-
tet, diese Innovation abzuschießen. Die
R
Dr. Jens Maier
ist Lehrbeauftrag-
ter für Betriebs-
wirtschaftslehre
am Institut für
Führung und Personalmanagement
der Universität St. Gallen. Seine For-
schungsschwerpunkte liegen in der
Verbindung von Leadership- und Orga-
nisationsentwicklung. Er ist Autor
von „The Ambidextrous Organization:
Exploring the new while exploiting the
now“ (Palgrave Macmillan, 2015).
Tel. 0041(0)79 6319613
AUTOR
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