titelthema
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wirtschaft + weiterbildung
04_2015
neue Führungskultur? Gerade die deut-
sche Wirtschaft floriert doch vergleichs-
weise gut. Aber es gibt eine ganze Reihe
von Argumenten. Für einen deutlichen
Wandel in der Führungskultur sprechen
folgende Argumente:
• Die VUCA-Welt (volatil, unsicher, kom-
plex und ambigue) erfordert neue Ma-
nagementkonzepte und braucht eine
von Empathie getragene Führung.
• Viele Studien wie zum Beispiel die der
Deutschen Gesellschaft für Supervision
e.V. (DGSv) in Köln mit dem Titel „Ar-
beit und Leben“ zeigen: Unter Demoti-
vation und Burn-out leiden auch immer
mehr Leistungsträger. Ganze Organisa-
tionseinheiten werden so gelähmt und
beeinträchtigen den Erfolg. Das bestä-
tigen auch die aktuellen Erfahrungen
vieler Business-Coachs. Künftig wird
ein noch viel größerer Schaden entste-
hen, wenn Leistungsträger ausfallen.
• Unternehmen zeigen eine bessere Per-
formance (gemessen an Umsatz und
Gewinn), wenn sie Frauen in den Vor-
ständen haben. Studien von McKinsey
(2007) und Ernst&Young (2012) zeigten
deutlich, wie wichtig es ist, dass eine
(Führungs-)Kultur offen ist für „Unter-
schiedlichkeit und Neues“. Weil die Un-
ternehmenskultur anders ist, machen
Frauen Karriere und zugleich sind sol-
che Unternehmen erfolgreicher.
• Hinzu kommt ein in die Zukunft wei-
sender Bedarf unserer Gesellschaft, der
oft übersehen wird: Wir brauchen nicht
nur räumlich mehr Platz für Kinder.
Unsere Kinder brauchen mehr Platz
in den Herzen der Menschen und ihre
Eltern brauchen dazu mehr Platz für
sich. Die bessere Vereinbarkeit von Fa-
milie und Beruf hängt dabei nicht nur
an der besseren Fremdbetreuung der
Kinder. Sie erfordert auch eine flexib-
lere Zeitgestaltung im Beruf – zu der
viele Eltern bereit wären, wenn dies
nicht so arg zulasten ihrer beruflichen
Entwicklungschancen ginge. Deshalb
hängt die Kinderfreundlichkeit unserer
Gesellschaft ganz wesentlich an der Fa-
milienfreundlichkeit der Arbeitsverhält-
nisse. Führungskräfte, denen dies ein
Wert ist, werden mehr darin investie-
ren, diesen Wert auch für ihre Mitarbei-
tenden herzustellen.
• Letztes Argument in dieser Reihe: Wie
kann unsere Demokratie nicht nur
überleben, sondern sich auch entwi-
ckeln, wenn ihre Bürgerinnen und Bür-
ger einen großen Teil ihrer Wachzeit in
patriarchal-autoritären Strukturen ver-
bringen?
Wir brauchen also ein verändertes Füh-
rungsverhalten, das beschrieben werden
kann als team- und mitarbeiterorientiert,
partizipativ und kooperativ, offen und
fair, sinnstiftend und mit Weitblick, das
Vielfalt und Diversität integriert und ins-
gesamt teamfähig ist. Doch Frauen wie
Männer, die das repräsentieren, haben
eher geringere Karrierechancen!!!
Das patriarchale Führungsmo-
dell schließt auch Männer aus
Die vorherrschenden Erwartungen an
Führungskräfte folgen nach wie vor dem
Think-Manager-Think-Male-Konzept und
orientieren sich am Modell eines Mannes,
dessen Frau die Verantwortung für Haus-
halt und Familie trägt. Dieses immer noch
vorherrschende Führungsmodell …
• verlangt Härte. „In Deutschland heißt
Führen, hart zu sein“, zitiert die Süd-
deutsche Zeitung (6.7.2007) den Wirt-
schaftspsychologen Felix Brodbeck.
04.
Das Führungsmodell wird
stark von
hierarchischem
Denken dominiert.
05.
Die Kompetenz von
Teams
wird zu wenig genutzt.
Es gibt
einsame Entscheidungen.
06.
Vollzeitarbeit
und ständige Ver-
fügbarkeit mit Hang zur Selbst-
ausbeutung wird erwartet.
R
„Politiker, deren Körpersprache auf eine
dominante, extravertierte und wenig
verträgliche Persönlichkeit schließen
lässt, erhalten von ihren Kollegen im
Plenum besonders viel Applaus“, mel-
det die Zeitschrift „Psychologie Heute“
(3/2015). Dazu passt, dass die überwie-
gende Mehrzahl der Top-Führungskräfte
in Deutschland überdurchschnittlich
groß ist und sportliche Fitness mehr und
mehr zu einem Auswahlkriterium wird,
wie die Frankfurter Allgemeine Sonn-
tagszeitung am 6. Oktober 2012 in ihrem
Artikel „Groß und fit soll der Manager
sein“ berichtete. Werden wir hier ge-
rade Zeugen einer Renaissance der alten
Führungsstereotype? Und wo bleiben da
dann die anderen Männer, die diesem
Stereotyp nicht entsprechen? Ergeht es
ihnen vielleicht ähnlich wie den Frauen?
Beschäftigt man sich mit den soziodyna-
mischen Phänomenen, mit denen Frauen
konfrontiert sind, die eine höhere Füh-
rungsposition anstreben oder innehaben,
dann stellt man fest, dass die soziodyna-
mische Grunddynamik, welche die mitt-
lerweile bekannte „gläserne Decke“ her-
vorbringt, auch jene (oft jungen) Männer
ausbremst, die nicht den gängigen Vor-
stellungen von (männlicher) Führung,
sondern eher einem post-patriarchalen
Führungsmodell entsprechen. Wenn das
zutrifft (und vieles spricht dafür), dann
können auch „neue“ Männer nur in Füh-
rungsfunktionen aufsteigen und eine
post-patriarchale Führungskultur mitprä-
gen, wenn sich diese Grunddynamiken in
den Organisationen ändern. Es darf be-
zweifelt werden, dass dies angesichts der
Veränderungsresistenz dieser Dynamiken
in der patriarchal-autoritären Führungs-
kultur gelingen kann – außer über die
Frauenquote. Warum braucht man eine