wirtschaft und weiterbildung 4/2015 - page 29

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wirtschaft + weiterbildung
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nen aber in beiden Fällen die Tendenz,
an einmal getroffenen Beschlüssen fest-
zuhalten, beziehungsweise Bestätigungen
für einmal getroffene Entscheidungen zu
suchen, als „Confirmation Bias“. Die Tat-
sache, dass es außerdem äußerst schwer
fällt, in der Vergangenheit getätigte Inves-
titionen abzuschreiben und ausschließ-
lich künftige Kosten und Nutzen zu kal-
kulieren, bezeichnen sie als „Sunk-Cost-
Fallacy“.
Fallbeispiel: Teamleiter findet
nicht in seine Führungsrolle
Wir wollen die Fragestellung „Entwick-
lung fortsetzen oder einen Schlussstrich
ziehen?“ anhand eines konkreten Bei-
spiels aus der Praxis betrachten. Das
reale Beispiel haben wir mit leichten
Anpassungen aus unserem Buch „Füh-
ren live“ (Haufe 2014) übernommen. Die
Namen der Protagonisten wurden geän-
dert. Rolf war vor drei Monaten aus der
Mitarbeiterrolle zum Teamleiter im Kun-
denservice befördert worden. Als Fach-
kraft war er sehr erfolgreich gewesen,
in seine neue Position als Führungskraft
schien er dagegen noch nicht gefunden
zu haben. Immer häufiger bemerkte seine
Chefin Sophie, dass ihm grundlegende
Führungsvoraussetzungen wie Analyse-
fähigkeit, Belastbarkeit und Flexibilität
im Verhalten fehlten.
So hatte sie beispielsweise mehrfach
emotional aufgeladene Reaktionen von
Rolf in Situationen bemerkt, die dringend
rationale Entscheidungen erfordert hät-
ten. Gleichzeitig mangelte es ihm auch an
Struktur. Rolf setzte zu wenig Prioritäten,
hielt Timelines nicht ein und setzte An-
weisungen nicht um.
Die Arbeitsergebnisse seines Teams lagen
im innerbetrieblichen Vergleich konstant
im unteren Leistungsmittelfeld. Das war
zwar kein akuter Grund zur Besorgnis,
aber dauerhaft nicht tragbar. Inzwischen
beschwerten sich mehrere Mitarbeiter
über Rolfs angeblich respektlosen Ton
und „herrschsüchtigen Umgang“. In
Teamsitzungen blockte er offenbar hilf-
reiche Verbesserungsvorschläge seiner
Mitarbeiter mehrmals rüde ab mit dem
Hinweis, die Entscheidung treffe immer
noch er. Während eines laufenden Bewer-
bungsgesprächs beobachtete Sophie, wie
Rolf ohne Erklärung den Raum verließ,
um etwas zu trinken zu holen. Obwohl
ihn Sophie später rügte und ihm erklärte,
warum ein solches Verhalten dem Bewer-
ber gegenüber unhöflich und für das Un-
ternehmen nicht repräsentabel sei, zeigte
sich Rolf uneinsichtig.
Spätestens an diesem Punkt stellte sich
Sophie zum ersten Mal die Frage, ob sie
weiterhin an Rolfs Entwicklung festhal-
ten oder andere Alternativen wie zum
Beispiel seine Versetzung oder auch
Rückstufung einleiten sollte. Nach sorg-
fältiger Abwägung entschied sie sich,
die nächsten sechs Monate weiter in die
Entwicklung ihres Teamleiters zu inves-
tieren: Sie nahm sich viel Zeit für Coa-
ching-Gespräche mit Rolf, begleitete ihn
in Entscheidungsprozessen und gab ihm
Hilfestellung, wo sie nur konnte. Zeit-
weise investierte sie bis zu 50 Prozent
ihrer Arbeitszeit in seine Weiterentwick-
lung.
Doch lohnt sich eine solche Investition?
Ist ein solcher Aufwand für einen einzel-
nen Mitarbeiter zu rechtfertigen? Vor Be-
trachtung dieser Frage sollte zunächst si-
chergestellt werden, dass die mangelnde
Leistung des Mitarbeiters nicht primär
durch äußere Faktoren, wie zum Beispiel
Schwierigkeiten an Schnittstellen, aktu-
elle private Probleme oder fehlende finan-
zielle Ressourcen bedingt ist. Wenn fest-
steht, dass die Leistung tatsächlich direkt
auf den Mitarbeiter zurückzuführen ist,
sollte eine bewusste Entscheidung getrof-
fen werden. Wir empfehlen, die Entschei-
dung über weitere Entwicklungsschritte
von einer Reihe von Faktoren abhängig
zu machen, die wir in der Checkliste auf
Seite 31 genauer erläutern.
Analyse: Wie sollte die
Vorgesetzte entscheiden?
Welche Empfehlung können wir auf Basis
dieser neun Faktoren für das Beispiel von
Sophie und Rolf geben? Wenn wir die ein-
zelnen Analyse-Fragen beantworten und
abschließend jeden Faktor per Ampelsys-
Fehlbesetzung?
Bei schlechten
Leistungen kann Personalent-
wicklung helfen – doch nicht in
allen Fällen.
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