wirtschaft und weiterbildung 3/2015 - page 34

personal- und organisationsentwicklung
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wirtschaft + weiterbildung
03_2015
Ständig im Flow zu sein? Bei mir selbst ist
es so: Ein Drittel der Arbeit erfüllt mich
mit Freude, weil sie fließt (Flow), ein Drit-
tel ist harte Arbeit (Wille) und ein Drittel
ist neutral (Konsequenz). Diese Dreitei-
lung deckt sich mit den Einsichten in die
Arbeit meiner Kunden aus Hunderten von
Coaching-Sitzungen. Warum sollte es bei
Ihnen anders sein? Den besten Rat hierzu
fand ich beim bengalischen Poeten Rabin-
dranath Tagore: „Ich schlief und träumte,
das Leben sei Freude. Ich erwachte
und sah, das Leben war Pflicht. Ich tat
meine Pflicht, und siehe, das Leben ward
Freude.“ Das ist Erfüllung pur!
Es gibt also eine Wahl: Sie können Er-
füllung durch Freude erlangen, indem
Sie Ihre Pflicht tun – oder Spaß erwar-
ten, indem Sie ihn einfordern. Für mich
eine eindeutige Entscheidung: „Freude
erleben“ hat für mich mehr Tiefgang als
„Spaß haben“. Deswegen liegt dort auch
tieferes Glück. Auch wenn man mit dem
Thema Pflichterfüllung keine Begeis-
terungsstürme entfachen kann. So ein
Mensch kann sehr unbequem sein. Weil
es ihm um etwas Größeres als sein ei-
genes Wohlempfinden geht. Und damit
macht man sich nicht immer Freunde –
weder unter den Mitarbeitern, noch bei
den Chefs. Um die Fragen klar zu beant-
worten: Soll Arbeit Freude machen? – Ja.
Soll Arbeit Sinn stiften? – Ja. Soll Arbeit
motivieren? – Ja. Aber woher sollen die
Freude, der Sinn, die Motivation kom-
men? Vom Mitarbeiter selbst bzw. vom
Chef oder vom Unternehmen bzw. von
den Produkten? Das Problem ist die Ver-
engung auf diese beiden Möglichkeiten:
Mitarbeiter- oder Firmenseite. Denn die
Antwort lautet: weder allein vom einen
noch exklusiv vom anderen.
Beispielhafte Reaktionen zum Reflex des
„Motiviere mich!“ erlebe ich in meinen
Vorträgen, wenn ich die Menschen frage:
„Wer von Ihnen erzieht ein fremdes
Kind?“ Zunächst ernte ich meist fragende
Blicke, gepaart mit Stille. Dann schiebe
ich hinterher: „Ich meine Patchworkfami-
lie. Also, wer erzieht ein Kind, welches
nicht seinen eigenen Genen entsprungen
ist – und ist sich dessen bewusst …“ An
dieser Stelle kommen die Lacher, und
prompt gehen ein paar Hände hoch. Ich
frage weiter: „Wie haben Sie gelernt, die-
ses fremde Kind zu lieben?“ Pause, Nach-
denken. „Kann es sein, dass es damit
beginnt, dass Sie Zeit mit dem Kind ver-
bracht haben? Dass Sie es kennengelernt
haben? Dass Sie sich intensiv mit ihm be-
schäftigt haben?“ Großes Kopfnicken im
Saal: Genau so ist es! Die Verantwortung
und die Identifikation wachsen durch die
intensive Beschäftigung. Und wie macht
man sich ein fremdes Ziel zu eigen? Ge-
nauso. Indem man sich damit beschäftigt.
Es den Mitarbeitern leicht-
machen, sich zu identifizieren
Wir müssen unsere Aufgaben voll anneh-
men, indem wir uns einfach näher mit
ihnen auseinandersetzen – auch über
anfängliche innere Widerstände hinweg.
Und das können wir selbst entscheiden,
jedes Mal neu. Wenn ich mich mit mei-
ner Aufgabe identifiziere, versetzt mich
das in die Lage, sie gut zu lösen. Aber
ist es nicht auch die Aufgabe des Unter-
nehmens, für Identifikation zu sorgen?
Ja, ist es. Indem es mir die Möglichkeit
gibt, meiner Aufgabe gewachsen zu sein.
Dafür brauche ich angemessene Arbeits-
bedingungen und Ressourcen. Doch die
sind eigentlich meistens gegeben. Wenn
ich mich mit etwas tiefergehend beschäf-
tige, tue ich das auf der Grundlage des-
sen, was mir zur Verfügung steht. Ich
muss mich einfach nur darauf einlassen,
anstatt zu klagen.
Jede Firma ist die beste der Welt. Warum?
Weil Sie dort arbeiten! Klingt das nicht
nach billigem „Tschakka! Tschakka!“?
Tatsächlich ist es die eine Hälfte der
Wahrheit über Motivation: Menschen
müssen und können Motivation auch bei
sich selbst erzeugen. Wie? Indem sie sich
intensiv mit einer zu lösenden Aufgabe
beschäftigen. Aus freien Stücken. Die
zweite Hälfte: Das Unternehmen sollte
es dem Mitarbeiter leichtmachen, sich zu
identifizieren, indem es für angemessene
Rahmenbedingungen sorgt, damit der
Mitarbeiter seinen Job gut machen kann.
Je höher das gelebte Maß an Selbstver-
antwortung bei einem Mitarbeiter, desto
größer ist dann auch der Anteil an Selbst-
motivation. Wir brauchen Professionalität
auf beiden Seiten, für die gesunde Mitte:
Weder müssen ausschließlich die Chefs
für Motivation sorgen, noch die Mitarbei-
ter – sondern beide. Allen ist geholfen,
wenn jeder bei sich und seinem tatsäch-
lichen Einflussbereich bleibt, anstatt die
Verantwortung für die eigene Handlungs-
lust dorthin abzugeben, wo es überhaupt
keinen Sinn macht.
Boris Grundl
R
Buchtipp.
Worin besteht das Geheim­
nis glücklicher Menschen? Boris Grundl
bietet in diesem Buch eine andere Sicht­
weise auf individuelles Glück. Er beleuch­
tet jene Glücksförderer und Glücksverhin­
derer, die dafür sorgen, dass wir entweder
ein ausgefülltes oder ein fremdbestimm­
tes, leeres Lebens leben. In diesem
Buch geht es auch unter Bezug auf das
Sprenger-Buch „Mythos Motivation“ um
die Frage, wie Motivation im Berufsleben
zustande kommt.
Boris Grundl: „Mach mich glücklich – Wie Sie das bekom­
men, was jeder haben will.“ Das Buch ist Ende des Jah­
res 2014 im Econ-Verlag, Berlin, erschienen. Es hat 296
Seiten und kostet 18 Euro. Mehr Informationen zum Buch
unter
Was fördert unser Glück?
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