wirtschaft und weiterbildung 3/2015 - page 33

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wirtschaft + weiterbildung
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Meistens der Chef. Mitarbeiter, die nur
ins Unternehmen kommen, um ihren
Akku an der Führungskraft aufzuladen,
um Energie zu tanken, sind heute leider
eher normal als selten. Diese Normalität
heißt „energetische Motivation“ und ist
aus dem Sport bekannt.
Der Ruf nach rein intrinsischer Motiva-
tion greift genauso ins Leere wie der Ruf
nach ihrem Gegenteil. Von außen kom-
mende, extrinsische Anreizsysteme wie
Incentives, Boni oder sonstige Belohnun-
gen laufen sich mittlerweile tot. Die Chefs
jammern über die nachrückende Genera-
tion Y, weil sie nicht mehr wissen, welche
Anreize sie ihr liefern sollen. Auf mate-
rielle Verlockungen reagieren diese jun-
gen Mitarbeiter nicht mehr wie frühere
Generationen. Nachvollziehbar! Keiner
möchte eine Karotte vor die Nase gehal-
ten bekommen, wenn er selbstbestimmt
und frei leben will. Und genau das sind
die zentralen Werte der jungen Gene-
ration. Die alten Statussymbole fühlen
sich für junge Mitarbeiter heute sinnfrei
und geschmacklos an. Sie empfinden sie
sogar als Affront: Jemand beleidigt ihre
Fähigkeit zur Selbstreflexion und Selbst-
führung.
Heute suchen Mitarbeiter vermehrt nach
einem Sinnangebot: „Firma! Führungs-
kraft! Gib meinem Leben Sinn! Dann bin
ich motiviert.“ Sinn heißt die aktuelle
Modewelle, und es ist schwer, sich ihr zu
entziehen. Doch auch dieses Modell hat
ein eingebautes Problem: Was sinnvoll
für den einen ist, ist es nicht zwingend
für den anderen. Wenn ich ergründen
will, was für den einzelnen Mitarbeiter
Sinn ergibt und was nicht, artet das in
ein wüstes Ratespiel aus. Hilfe finden wir
hier bei Hermann Hesse. Er bemerkte:
„Wir verlangen, das Leben müsse einen
Sinn haben – aber es hat nur ganz genau
so viel Sinn, als wir selber ihm zu geben
imstande sind.“ Und so lautet die Ant-
wort: Selbstverantwortung. Es gibt nicht
„den einen Sinn“ da draußen, sondern
jeder Mensch begründet seinen eigenen
Sinn im Laufe seiner Entwicklung. Sinn
ist individuell, nicht kollektiv. Deshalb
sollten Menschen offen, transparent und
ehrlich kommunizieren, was für sie sinn-
voll ist und was nicht.
Freude erleben hat mehr
Tiefgang als Spaß haben
Es bedarf genau dieser Werte – Ehrlich-
keit, Transparenz, Offenheit – denn sie
schaffen Klarheit. Und Klarheit verhilft
zu Einsicht und Glücksmomenten, die
durch Erkenntnis entstehen. Das Problem
im Sinn-Modell für die Mitarbeitermotiva-
tion: Wenn ein Unternehmen Sinn gegen
Motivation tauschen will, steht es vor der
unlösbaren Aufgabe, es allen Mitarbeitern
recht machen zu wollen. Wenn dies bei
einer Einzelperson schon so schwer ist,
wie ist das dann bei hundert, tausend
oder zehntausend Mitarbeitern? Die Idee
geht einfach nicht auf. Aber wie soll es
denn dann funktionieren mit der Motiva-
tion?
Die Lösung liegt nicht nur auf der Seite
des Unternehmens. So einfach lässt sich
die Verantwortung beim Thema Moti-
vation nicht verteilen: indem man fest-
stellt, dass die Chefs nicht wissen, wel-
che Knöpfe sie bei den Mitarbeitern drü-
cken sollen, um sie zu motivieren oder
zumindest nicht zu demotivieren. Der
Knackpunkt beim Handlungsantrieb von
Menschen ist die erlernte Abgabe von
Verantwortung für die eigene Motivation.
Fest steht: Motivation ist wichtig! Spaß
an der Arbeit ist wichtig! Sinn ist wichtig!
Und dann gehen Menschen auf die Suche
nach einer Arbeit, die sie motiviert, die
ihnen Spaß macht und die für sie Sinn
macht.
Aber wer hat denn gesagt, dass Arbeit
immer motivierend, spaßig und sinnvoll
sein muss? Ist das wirklich angemessen?
Möhre.
Wenn Journalisten das Thema „Motivation“ bebildern sollen, greifen sie weltweit
zur Möhre, die Jemand vor die Nase eines anderen hält. Wenn es nach Boris Grundl geht,
sollte aber jeder in der Lage sein, sich seine Motivation selbst zu erzeugen.
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