personal- und organisationsentwicklung
26
wirtschaft + weiterbildung
03_2015
Doch die Beispiele von demokratischen
Unternehmen zeigen auch, dass es meist
kleinere Start-Ups sind, die sich neu grün-
den und dabei ihre Struktur demokratisch
aufsetzen. Wie aber lässt sich eine sol-
che Entwicklung auf Konzerne übertra-
gen? Stoffel von Haufe-Umantis skizzierte
einen Weg für Konzerne, ohne die Struk-
turen völlig neu aufzusetzen: Man könnte
dort weiterhin Prozesse hierarchisch
laufen lassen, die das „Kleinklein an Ent-
scheidungen“ abverlangten. Wichtig sei
es vor allem, Räume zu lassen, wo Mit-
arbeiter mehr Freiheiten hätten, um zum
Beispiel zu Innovationen zu kommen.
Entscheidend dabei ist auch die Rolle
des Top-Managements, wie Helmut Lind,
Vorstandsvorsitzender der Sparda-Bank
München eG, zeigte, als er sich in einer
Podiumsdebatte auf der Konferenz ve-
hement für eine stärkenorientierte und
achtsamkeitsbewusste Unternehmenskul-
tur einsetzte. Man müsse ein Stück aus
dem Verstand herauskommen und sich
mit den Menschen „von Herz zu Herz
unterhalten“. Damit widersprach er auch
Dieter Schweer vom Bundesverband der
Deutschen Industrie e.V. Der hatte gefor-
dert, die Demokratiedebatte nicht „sozio-
logisch-emotional“ zu führen.
Lind spricht allerdings auch eher von
„Empowerment“ der Mitarbeiter als von
der Demokratisierung. Unter Empower-
ment versteht man die Maßnahmen, um
Autonomie und Selbstbestimmung der
Mitarbeiter zu erhöhen, sodass sie selbst-
verantwortlich arbeiten können. Das Em-
powerment könnte also als etwas abge-
schwächte Form der Demokratisierung
ohne Wahlen durchgehen. Man dürfe
aber keinesfalls die Selbstbestimmung
gegen die Mitbestimmung ausspielen,
mahnte Andreas Boes in seinem Konfe-
renzvortrag. „Man kann Menschen nicht
beteiligen, ohne Macht zur Disposition zu
stellen.“ Das fällt natürlich nicht leicht,
wie Lind bestätigte: „Für einen Manager
ist es ein Prozess aus Zweifel, Angst und
Zynismus, Kontrolle abzugeben.“
Wer hat die Macht?
Bei der Frage der Macht, steht jedoch eine
offene Frage im Raum, die auch die Red-
ner bei der Konferenz nicht beantworten
konnten: Welche Macht hat der Eigentü-
mer des Unternehmens, wenn die Mitar-
beiter entscheiden?
Diese Frage hat Steuernagel in einem sei-
ner Unternehmen für Biokost versucht zu
klären. Er experimentiert dort mit dem
Eigentümer-Modell nach der Grundüber-
zeugung „Wer betroffen ist, soll selbst
entscheiden“. Darum hat er die Stimm-
anteile an seinem Unternehmen an die
vergeben, die das Unternehmen gerade
führen. Eine Stiftung wird nun noch mit
einem Vetorecht ausgestattet, damit die
Führenden diese Regelung nicht selbst
aushebeln können.
Wesentlich weniger experimentell äu-
ßerte sich die Bundesarbeitsministerin
Andrea Nahles in ihrer Auftaktrede zur
Konferenz. Sie bezog sich allein auf die
formale Mitbestimmung: Das Betriebsver-
fassungsgesetz sei zweifellos „einer der
wichtigsten Demokratisierungsschübe“
gewesen, den die Betriebe in Deutschland
„je erfahren hätten.“ Für sie seien institu-
tionalisierte, kollektive Formen der Mitbe-
stimmung weiterhin die passende Form
in der Globalisierung.
Sattelberger erklärte der reinen Stärkung
der Betriebsverfassung hingegen eine Ab-
sage: „Sozialpartnerschaften sind büro-
kratische Systeme geworden, bei denen
das Thema Unternehmenskultur durch
das Raster fällt.“ Die Gewerkschaften hät-
ten Angst, durch direkte Partizipation an
Macht zu verlieren.
Aufruf zum Experiment
Sattelberger rief zum Experimentieren
auf: „Schaffen wir es, dem Individuum
wieder mehr Freiheit und Rechte einzu-
räumen und gucken, was passiert.“ Auch
Stoffel regte dazu an, die entstandene
Debatte zur Demokratie zu nutzen: „Ich
habe noch nie so viele Vorstände über
Agilität und Selbstorganisation sprechen
hören, wie in den vergangenen drei Jah-
ren. Das heißt, das Bewusstsein ist da; es
fehlt noch der Mut.“
Diese Aufbruchstimmung, die sich auf
der Bühne entfachte, traf jedoch in ei-
nigen Pausengesprächen auf eine eher
nüchterne, pragmatische Haltung. Das
könnte aber auch daran gelegen haben,
dass die Konferenz selbst keinerlei Par-
tizipation der Teilnehmer ermöglichte.
Ansätze zu Open Space oder Barcamp,
mit denen die Deutsche Gesellschaft für
Personalführung (DGFP) ihre Konferen-
zen derzeit reformiert, waren in München
nicht anzutreffen.
Kristina Enderle da Silva
R
Fotos: Andreas Heddergott / TUM
Andrea Nahles.
Die Bundesministerin warb
um die formale Mitbestimmung,
Podiumsdebatte.
Marc Stoffel (links) gab Einblicke in ein demokratisches Unternehmen.
Armin Steuernagel (rechts) ergänzte vor allem durch sein innovatives Eigentümer-Modell.