wirtschaft und weiterbildung 3/2015 - page 23

03_2015
wirtschaft + weiterbildung
23
die Auslastung weiter. Oft springt sie so-
fort auf 100 Prozent“.
Ein verantwortungsloses Management,
das die Auslastung über 85 Prozent hi-
naufschraubt, ist für Dueck der Haupt-
grund dafür, dass die Schwarmdummheit
besonders in den großen Unternehmen
zugenommen hat. Wer unter Druck stehe,
vernachlässige seine Projekte, verliere
seine Hilfsbereitschaft gegenüber Kolle-
gen und trage nur noch – natürlich auf
den letzten Drücker – das Notwendigste
zum Erfolg eines Teams bei. In den Pro-
jektgruppen gehe es immer mehr drun-
ter und drüber. Keiner wolle mehr etwas
entscheiden. Immer hektischere Abstim-
mungsrunden, die von Missverständnis-
sen verzögert würden, seien die Folge.
„Das Tagesgeschäft frisst uns auf“, heißt
es dann überall.
Kaizen „verbietet“ Überlastung
von Mensch und Maschine
Die Top-Manager werden durch die Kla-
gen von Kunden irgendwann darauf auf-
merksam gemacht, dass die Kundenbe-
treuung nicht mehr gut ist, dass Quali-
tätsmängel vorkommen und dass kaum
noch Innovationen auf den Weg gebracht
werden. Außerdem lässt es sich bald
nicht mehr übersehen, dass die Krank-
meldungen und die Burn-out-Fälle sich
häufen. Auf solche Informationen reagie-
ren Top-Manager nach Duecks Beobach-
tungen mit verschärften Kontrollen. Jeder
muss jetzt mit wöchentlichen Statistiken
Rechenschaft ablegen, wie es um seine
Kundenkontakte oder um den Verlauf
seiner Projekte steht. Bei 85 Prozent Aus-
lastung hätte man genug Pufferzeit, um
zusätzliche Büroarbeiten entspannt zu er-
ledigen. Doch bei Überlastung führe jede
weitere Bürokratisierung nur zu „zusätz-
lichem Schmerz und Zorn“.
Der japanische Kaizen-Ansatz („Verän-
derungen zum Besseren“) unterstützt
Duecks Kritik explizit. Zum Kaizen ge-
hören die drei Mu-Prinzipien: 1. Keine
Verschwendung (Muda) 2. Keine Überla-
stung (!) von Mitarbeitern und Maschi-
nen (Muri) 3. Keine Unregelmäßigkeiten
in den Prozessabläufen (Mura). Deutsche
Konzerne sparen sich laut Dueck unter
Berufung auf Muda tot und ignorieren
die beiden anderen Aspekte guter Unter-
nehmensführung. Bei Problemen denke
leider niemand daran, die Überlastung
zurückzufahren. Wenn große Unregelmä-
ßigkeiten in den Abläufen zu beobachten
seien, würden die Mitarbeiter einfach
unter Druck gesetzt, mehr unbezahlte
Überstunden zu leisten. „Niemand ver-
sucht das Problem qualitativ im Sinne hö-
herer Kompetenz zu lösen“, klagt Dueck.
Wer kann das Hamsterrad
anhalten?
Dueck beschreibt auf 304 von 324 Seiten
beispielhaft und zum Teil sehr humor-
voll den Auslastungswahn in deutschen
Konzernen. Diesem Wahn gibt er einen
wesentlichen Teil der Schuld an der
Schwarmdummheit. Mögliche Lösungen
des Problems werden auf den letzten 20
Seiten kurz angerissen. Für den Mathe-
matikprofessor gibt es im Grunde nur
eine ganz einfache Lösung: Das Top-
Management muss dafür sorgen, dass
sich der Auslastungsgrad zwischen 80
und 85 Prozent einpendelt. Aber Dueck
bekommt schnell Zweifel, ob ein ausbeu-
terischer Vorstand jemals freiwillig seine
Zielvorgaben senken würde. Er fragt sich
sogar, ob Konzerne nicht „irgendwie“ als
unreformierbare Zonen „aufgegeben“
werden müssten. Genau genommen hat
Dueck keine Antwort auf die Frage, wie
der Schwarmdummheit begegnet werden
kann, wenn sie sich erst festgesetzt hat.
Er weiß nur: Wer die Uhr zurückdrehen
und die Auslastung einer Organisation
R
senken will, der steht vor einer „unfass-
bar schwierigen Aufgabe“.
Dueck hat einen typischen Campus-
Bestseller verfasst: Nach dem Motto
„Wo viel Licht ist, ist auch viel Schat-
ten“ nimmt sich bei solchen Büchern ein
Autor einen populären, positiv besetzten
Begriff („Schwarmintelligenz“) vor und
schreibt dann über dessen Schattensei-
ten („Schwarmdummheit“) eine Horror-
Geschichte. Die Leser kaufen solche Bü-
cher hauptsächlich wegen des Unterhal-
tungswerts. Zum Schluß erklärt der Autor
noch, er habe nur eine überfällige Diskus-
sion anregen wollen. Problemlösungen
könne man zum jetzigen Zeitpunkt noch
nicht erwarten. Der Profi erkennt diese
Art der Business-Folklore nicht zuletzt
daran, dass ein Literaturverzeichnis fehlt.
Es bleibt im Unklaren, aus welchen Quel-
len der Autor getrunken hat und ob er
sich beim Schreiben überhaupt für die
Meinung andere Experten interessierte.
Duecks Buch wäre bestimmt „runder“
und handlungsorientierter geworden,
wenn der Autor sich mit den Erkennt-
nissen und Ratschlägen der Shareholder-
Value-Kritiker befasst hätte.
Auf einer tieferen Ebene ist Duecks Buch
übrigens eine Liebeserklärung an den
deutschen Mittelstand und insbesondere
den süddeutschen Maschinenbau! Der ist
nach Duecks Einschätzung von Natur aus
immun gegen überflüssige Meetings im
Allgemeinen und gegen Schwarmdumm-
heit im Besonderen.
Martin Pichler
Gunter Dueck.
Sein Buch „Schwarmdumm“
(Campus Verlag, Frankfurt am Main 2015,
324 Seiten, 24.99 Euro) gilt – wenn es
nach den meisten Amazon-Rezensionen
geht – als „die“ Pflichtlektüre für Manager.
Fritz B. Simon.
In diesem Buch „Gemein-
sam sind wir blöd!?“ (Carl Auer, Heidelberg
2004) analysiert Simon den Shareholder-
Value-Ansatz als „ein besonders gutes
Beispiel für kollektive Blödheit“.
1...,13,14,15,16,17,18,19,20,21,22 24,25,26,27,28,29,30,31,32,33,...68
Powered by FlippingBook