wirtschaft und weiterbildung 06/2015 - page 24

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wirtschaft + weiterbildung
06_2015
rung“ interner Prozesse. Der kanadische
Managementprofessor Dr. Henry Mintz-
berg illustriert die Effekte eindrucksvoll:
„Keine Struktur ist darwinistischer, keine
fördert mehr den Fitten (solange er fit
bleibt) und keine ist verheerender für den
Schwachen. Die verflüssigten Strukturen
begünstigen die inneren Konkurrenzen
und sind manchmal Nährboden für hef-
tige Machtkämpfe. Die Franzosen haben
eine bildhafte Beschreibung für solche
Prozesse: un panier de crabes. Ein „Korb
voller Krebse“ ist Sinnbild dafür, dass
sich alle kneifen, um höher oder gar he-
rauszukommen.
Und wenn die Machtkämpfe eskalieren,
dann wird eine Frage zentral: Die Frage
danach, wer das Kapital am Unterneh-
men hält. Aller Anti-Hierarchie-Rhetorik
zum Trotz ist es bisher in keiner Organi-
sation mit mehr als fünfzig oder sechzig
Mitarbeitern zu einem völligen Verzicht
auf Hierarchie gekommen. Wenn es hart
auf hart geht, hat jede Organisation die
Möglichkeit, eine Entscheidung zentral
durchzusetzen. Insbesondere bei der
Durchsetzung sensibler Entscheidungen
wird mit mehr oder minder offenem Ver-
weis auf die Kapitalverhältnisse auf eine
Hierarchie zurückgegriffen.
Jenseits aller Dramatisierung
Bei den gerade modernen Organisations-
konzepten handelt es sich um postbüro-
kratische Organisationsprinzipien, die be-
reits seit Langem bekannt, nun aber neu
verpackt sind. Die Innovationen liegen
inzwischen fast nur noch in der Erfin-
dung neuer Begriffe. Die „flexible Firma“
von gestern wird heute als „agiles Unter-
nehmen“ und morgen als „systemischer
Betrieb“ bezeichnet. Die Adhocratie von
gestern wird heute „teambasierte Orga-
nisation“ und morgen „holokratische
Organisation“ genannt. Was früher als
»Expertennetzwerke« gepriesen wurde,
wird heute als „Communities of Practice“
und morgen als „Crowds of Wisdom“ ver-
marktet.
Dieser Drang nach Neuigkeitsdramatisie-
rung ist nachvollziehbar. Gerade Mana-
ger, die neu in eine Organisation eintre-
ten, sehen sich gezwungen, durch begriff-
liche Innovationen zu zeigen, dass sie die
Dinge anders angehen als ihre Vorgänger.
Berater befinden sich nicht nur in einer
Konkurrenz um Kunden, sondern gerade
auch um die Meinungsführerschaft über
Organisationskonzepte und erfinden des-
wegen immer wieder neue „Buzzwords“
für das Management.
Auch Journalisten können ihren Lesern,
die sich an aktuellen Entwicklungen
orientieren, schwerlich verkaufen, dass
(trotz aller Fantasie bei der Erfindung
neuer Managementkonzepte) in den Or-
ganisationen vom Prinzip her häufig alles
beim Alten bleibt und beteiligen sich
deshalb immer wieder daran, wenn eine
neue Sau durch die organisationalen Dör-
fer getrieben wird. Es wird aber durch die
Erfindung immer neuer Namen für post-
bürokratische Organisationsformen über-
sehen, dass die Probleme, die durch diese
neuen Organisationsformen produziert
werden, immer die gleichen sind.
Stefan Kühl
R
Immer noch aktuelle Analysen eines Organisationssoziologen
Stefan Kühl:
Wenn die Affen den Zoo regieren
Die Tücken der flachen Hierarchien. Campus Verlag,
5/2015, 183 Seiten, 24,90 Euro
Der Autor wendet sich gegen den blinden Enthusiasmus,
mit dem die Konzepte zur Enthierarchisierung und Dezen-
tralisierung von Organisationen auch heute noch angeprie-
sen werden.
Stefan Kühl:
Das Regenmacher-Phänomen
Widersprüche im Konzept der lernenden Organisation.
Campus Verlag, 5/2015, 226 Seiten, 24,90 Euro
Viele moderne Managementprinzipien erreichen
nicht das, was sie versprechen. Die als Erfolgsre-
zepte gehandelten Prinzipien wie klare Zielverein-
barungen, Mitarbeiteridentifikation, Partizipation
und permanentes Lernen haben aber andere hilf-
reiche Effekte – sie halten Organisationen immer
schön in Bewegung.
Buchtipps.
Im Jahr 1998 wurde der junge Soziologe Stefan Kühl schlagartig berühmt, als er
gegen den damaligen Trend das Buch „Wenn die Affen den Zoo regieren: Die Tücken der flachen
Hierarchien“ veröffentlichte. Diesen und weitere Kühl-Bestseller gibt es jetzt in einer Neuauflage.
Stefan Kühl:
Sisyphos im Management
Die vergebliche Suche nach der optimalen Organisations-
struktur. Campus Verlag, 5/2015, 235 Seiten, 24,90 Euro
Mitarbeiter sollen heute eigenverantwortlich handeln, aber
möglichst nur in dem vom Management vorgegebenen
Rahmen. Stefan Kühl analysiert systematisch die Para-
doxien und Widersprüche von Managementkonzepten. Er
sagt, warum die Suche nach einer optimalen Organisati-
onsstruktur vergeblich ist und warum diese Suche trotz-
dem nicht aufgegeben werden sollte.
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