wirtschaft und weiterbildung 06/2015 - page 23

06_2015
wirtschaft + weiterbildung
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kannt zu haben, dass sich die Arbeiter
so sehr mit ihrem alten Job identifiziert
hätten, dass sie glaubten, keine anderen
Tätigkeiten ausführen zu können. „Wie
sollte ich je etwas anderes tun?“, fragten
die Arbeiter. „Ich bin nun mal mit Leib
und Seele Dreher.“ Senge spricht vom
Lernhemmnis „Ich bin meine Position“
und schlägt eine Identifizierung der Mit-
arbeiter mit umfassenderen Unterneh-
mensprozessen vor.
Er verkennt jedoch, dass er, genauso
wie einige andere Berater, lediglich das
Lern- und Veränderungshemmnis „Ich
bin meine Position“ durch ein neues
Lern- und Veränderungshemmnis (näm-
lich „Ich bin der Prozess“ oder „Ich bin
mein Unternehmensbereich“) ersetzt.
Eine Identifikation der Mitarbeiter mit
einem Profitcenter, einem innovativen
Prozess oder einem umfassenden Produkt
ist nämlich im Prinzip genauso problema-
tisch wie die Identifikation mit einer Po-
sition: Sie löst die gleichen Formen der
Blockierung gegenüber Wandel aus. Das
Problem besteht eben nicht darin, dass
sich Mitarbeiter nur mit einer zu eng de-
finierten Position identifizieren, das Pro-
blem ist, dass sich Mitarbeiter überhaupt
mit irgendetwas identifizieren. Aus dieser
Perspektive wird der Vorteil der Mitarbei-
termotivation über so schnöde Dinge wie
Geld, Dienstwagen und Incentives deut-
lich: Geld abstrahiert von den Zwecken,
für die man etwas tut, und ist deswegen
als „Motivator“ flexibel einsetzbar.
Gewählte Hierarchen sind
schwache Hierarchen
Wenn Demokratisierung nicht lediglich
ein Ornament auf der Schauseite der Or-
ganisation sein soll, dann bedeutet sie
den Verzicht auf Hierarchie. Natürlich
gilt: Auch die Wahl von Vorgesetzten
durch ihre Mitarbeiter führt dazu, dass
es eine Hierarchie gibt. Aber diese Hie-
rarchie ist dadurch geschwächt, dass die
Vorgesetzten ja jederzeit damit rechnen
müssen, von ihren Mitarbeitern wieder
abgesetzt zu werden.
Das führt zwangsläufig dazu, dass ge-
wählte Hierarchen und Hierarchinnen
eine deutlich größere Zurückhaltung
dabei zeigen, Erwartungen mit Hinweis
auf ihre hierarchischen Weisungsbefug-
nisse durchzusetzen. Es herrscht die Vor-
stellung, dass in die Lücke eine verstärkte
Steuerung über Verständigung und Ver-
trauen treten kann. Sicherlich – man darf
die Bedeutung von Verständigung und
Vertrauen in Organisationen nicht unter-
schätzen, aber die Steuerungsform, die
durch Demokratisierung am stärksten an
Bedeutung gewinnt, ist Macht! Das mag
überraschen, weil Macht mit Hierarchie
in dieser Diskussion häufig gleichgesetzt
wird. Wenn die Hierarchie an Bedeutung
verliert, dann müssten sich doch – so die
Vorstellung – auch die Machtprozesse
reduzieren. Wir wissen aber schon aus
Studien über demokratische Staaten, dass
der umgekehrte Effekt eintritt. Durch die
Einführung von Demokratie kommt es in
einem Staat nicht zu einer Abnahme, son-
dern zu einer Zunahme von Machtspie-
len. Wer dafür eine Illustration braucht,
sollte sich die zurzeit populäre Fernseh-
serie „House of Cards“ ansehen, in der
eine nur leicht verzerrte Beschreibung
von Machtspielen geboten wird.
Keine Dauerpolitisierung
organisatorischer Prozesse!
Dies hat einen einfachen Grund: Hierar-
chien verstetigen Machtbeziehungen,
weil sich alle Mitglieder – wenigstens in
ihrer offiziellen Selbstdarstellung – an die
hierarchische Ordnung gebunden zeigen
müssen und Vorgesetzte in vielen Fällen
Auseinandersetzungen mit Verweis auf
ihre formal abgesicherten Weisungsbe-
fugnisse entscheiden können. Sicherlich
– mikropolitische Spiele gehören in jeder
Organisation – auch in hierarchischen –
zum Alltag und lassen sich nicht vermei-
den. Die Arbeitsteilung führt zur Ausbil-
dung von Abteilungen mit unterschied-
lichen lokalen Rationalitäten und Macht
ist einer der zentralen Mechanismen zur
Aushandlung einer gemeinsamen Vor-
gehensweise. Mit Hierarchie steht dann
aber ein Mechanismus zur Verfügung, der
eine Lösungsmöglichkeit beinhaltet.
Die Auflösung oder Schwächung von Hie-
rarchien führt (und das zeigen alle Expe-
rimente, von den selbst verwalteten Be-
trieben der 1970er- über die Start-ups der
New Economy Ende der 1990er-Jahre und
die demokratischen Unternehmen der
2010er-Jahre) zu einer „Dauerpolitisie-
R
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Potenziale
fördern!
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