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TITEL
_EIGNUNGSDIAGNOSTIK
personalmagazin 02/18
Bei Online-Assessments der kognitiven
Leistungsfähigkeit etwa im Rahmen der
Vorauswahl von Bewerbern besteht das
Risiko der Manipulierbarkeit, da die
Identität der Personen, die den Test be-
arbeiten, nicht gesichert ist. Daher muss
die Untersuchung zur einem späteren
Zeitpunkt offline wiederholt werden.
Der gute, alte Fragebogen
Fragebögen arbeiten fast immer aus-
schließlich mit der Selbstbeschreibung
eines Menschen. In der Regel werden
den Betroffenen Aussagen zu einem be-
stimmten Verhalten, zu Motiven, Inter-
essen oder Einstellungen vorgelegt und
sie müssen auf einer mehrstufigen Skala
ankreuzen, wie sehr die entsprechende
Aussage auf sie zutrifft. Dabei stellen
sich zwei Probleme: Zum einen wird
ausschließlich das Selbstbild erfasst.
Selbstbilder sind in der Regel leicht po-
sitiv verzerrt – ein Effekt, der im Mittel-
wert durch den Einsatz von Normen re-
duziert werden kann. Es gibt aber auch
Menschen, deren Selbstbild so extrem
verzerrt ist, dass eine Normierung nicht
weiterhilft. Zum anderen lassen sich
Selbsteinschätzungen absichtlich verfäl-
schen, womit insbesondere bei Bewer-
bern zu rechnen ist. Auch hier kommt
es letztlich darauf an, wie stark der Ein-
zelne die Ergebnisse manipuliert. Es gibt
verschiedene Methoden, um das zweite
Problem in den Griff zu bekommen; zum
Beispiel mit dem Einsatz von Kontroll
skalen oder der Entwicklung von Fragen,
bei denen der Bewerber nicht erkennen
kann, welche Antwort vorteilhaft wäre.
Die in der Praxis so beliebten Per-
sönlichkeitsfragebögen, mit deren Hilfe
Menschen in Typen (zum Beispiel Farb-
typen) eingeteilt werden, gelten in der
Forschung seit Jahrzehnten als über-
holt und erlauben keine hinreichend
differenzierten Aussagen. Die Validität
der einzelnen Verfahren schwankt zwi-
schen „nicht vorhanden“ und „gut“, sie
dürfte jedoch fast immer unter der von
Intelligenztests liegen. Es ist daher ex-
trem wichtig, sich mit den Validierungs-
studien zu den einzelnen Fragebögen
auseinanderzusetzen. In der Bewer-
berakzeptanz schneiden Fragebögen
vergleichbar zu Intelligenztests ab. Wie
beim Online-Leistungstest muss auch
beim Online-Fragebogen die Untersu-
chung zu einem späteren Zeitpunkt
offline wiederholt werden, sofern die
Identität der Person, die den Fragebogen
bearbeitet, nicht sichergestellt ist.
Internetdaten als Diagnosebasis
Im Zuge der Digitalisierung sind inzwi-
schen Internetdaten sehr interessant
für diagnostische Fragen. Die nahezu
flächendeckende Nutzung von sozialen
Netzwerken – insbesondere durch jün-
gere Menschen – lässt die Frage entste-
hen, ob Arbeitgeber die hier zu findenden
Daten nicht zum Zwecke der Personal-
diagnostik nutzen können. Alltagspsy-
chologisch betrachtet sollten sich hier
viele interessante Informationen finden
lassen. Studien, die sich mit der Frage
beschäftigen, ob das Durchforsten der
Internetseiten nach dem Prinzip „Men-
schenkenner“ zu validen Aussagen über
einen Bewerber führt, kommen zu nega-
tiven Befunden.
Vielleicht sieht es aber anders aus,
wenn dies ein Computer erledigt, der mit-
hilfe von objektiven Algorithmen gezielt
einzelne Informationen gewichtet und sie
zu einer Aussage über bestimmte Persön-
lichkeitsmerkmale aggregiert. Studien
kommen hier zu sehr unterschiedlichen
Ergebnissen. Manche finden keine Hin-
weise darauf, dass sich grundlegende
Persönlichkeitsmerkmale auf diesem
Weg valide diagnostizieren lassen. An-
dere belegen Zusammenhänge zwischen
Internetdaten und einzelnen Persönlich-
keitsmerkmalen. Doch diese Merkmale
sind jedes für sich kaum in der Lage, be-
rufliche Leistung zu prognostizieren.
Vielleicht sieht es aber anders aus,
wenn es nicht um die Prognose der Leis
tung, sondern schlicht um eine Messung
der Persönlichkeitsmerkmale geht. Dies
kann zum Beispiel bei der Personalent-
wicklung von Bedeutung sein. Aber auch
in diesem Szenario schneidet der Algo-
rithmus schlecht ab. Bei der emotionalen
Stabilität oder der Verträglichkeit ist der
klassische Fragebogen um den Faktor 10
aussagekräftiger als ein Algorithmus.
Solange keine Belege vorliegen, dass
der Algorithmus etwas Berufsrelevantes
besser erklären kann als ein Fragebogen
oder ein Leistungstest, ist sein Einsatz
somit nicht sinnvoll, zumal Bewerber
oder Mitarbeiter es bestimmt nicht gut-
heißen werden, wenn der Arbeitgeber
ihre Spuren im Internet ausspitzelt.
Sprich: Dieses Verfahren erhält eine ge-
ringe Akzeptanz bei Bewerbern.
Sprache als Auswahlkriterium
Vertreter der Sprachanalyse versprechen
ihren Kunden, dass sie aus einer aufge-
zeichneten Sprachprobe von circa 15 Mi-
nuten Länge ein differenziertes Persön-
lichkeitsprofil erstellen können. Dabei
soll es keine Rolle spielen, worüber die
Person spricht. Von Interesse ist jedoch
die Häufung bestimmter Wörter (wie
zum Beispiel das Wort „ich“), die Länge
der verwendeten Sätze und zahlreiche
paraverbale Informationen wie beispiels-
weise die Tonlage oder der Stimmum-
fang. All dies wird mithilfe geheimnis-
voller Algorithmen in eine umfassende
Diagnostik von weit mehr als einem Dut-
zend Eigenschaften transformiert.
Die Probleme eines solchen Vorgehens
sind immens. Sehen wir einmal davon
Bisher sind klassische
Tools wie ein Leistungs-
test oder Persönlich-
keitsfragebogen den
neueren Verfahren auf
Basis von Algorithmen
noch überlegen.