personalmagazin 2/2018 - page 14

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TITEL
_EIGNUNGSDIAGNOSTIK
personalmagazin 02/18
Bei Fragen wenden Sie sich bitte an
DR. DENNIS BEERMANN
ist Diplom-Psychologe mit
Schwerpunkt Diagnostik,
Psychometrie und Statistik.
PROF. DR. MARTIN
KERSTING
ist Professor für
Psychologische Diagnostik an
der Justus-Liebig-Uni Gießen.
tänze steckt, verbessert nur den Tanz,
nicht das Wetter: Es geht nicht darum,
dass Organisationen die technischen
Möglichkeiten zwanghaft nutzen und
irgendwie vorhandene oder gewinn-
bare Daten irgendwie analysieren, nur
um digital zu werden. Vielmehr geht es
um die Lösung von Problemen und das
Schöpfen vorhandener Potenziale. Ent-
scheidend für den Erfolg ist außerdem,
dass datengestützte Entscheidungen in
bestehende Prozesse integriert sind.
Der zweite Erfolgsfaktor ist das Change
Management: Die Einführung von People
Analytics ist ein Change-Prozess. Verän-
derungen scheitern häufig nicht an Tech-
nologien, sondern an Menschen. „Let’s be
honest – most HR professionals are not at-
tracted to HR because of the opportunity
to work with data and analytics as part of
their roles.“ Mit diesem Satz beschrieben
Rasmussen und Ulrich 2015, warum Peo-
ple Analytics nicht gelebte Praxis ist. Die
Transformation der konventionellen Per-
sonalarbeit zu einer datengestützten und
-getriebenen Personalarbeit muss gezielt
herbeigeführt werden, wobei die Kommu-
nikation eine zentrale Rolle spielt. Dabei
sind alle relevanten Gruppen von Anfang
an einzubeziehen.
Der dritte Faktor für den Erfolg von
People Analytics ist die Qualität der Da-
ten sowie des Datenmanagements. Die
Qualität datengestützter Entscheidungen
hängt von der Qualität der analysierten
Daten ab. Dabei kann die Qualität auf ver-
schiedenen Ebenen problematisch sein:
Zunächst können bereits die Ausgangs-
daten untauglich sein. Wer über keine
hochwertigen Daten verfügt, weil etwa
die vergebenen Leistungsbeurteilungen
nichtssagend sind, profitiert nicht davon,
diese Daten zu analysieren. Potenziert
wird dieses Problem mit Unzulänglich-
keiten der HR-Systeme, zum Beispiel
indem Freitextfelder statt Auswahlfelder
angeboten werden oder indem die Daten
aus unvollständigen Eingabemasken ab-
geschickt werden können. Ein anderes
Beispiel sind technische Probleme: Au-
dio- oder Videoaufnahmen können durch
schlechte Aufnahmequalität in Mitlei-
denschaft gezogen sein. Ohne Aufsicht
durchgeführte Verfahren können zu ver-
fälschten Daten führen. Die Integration
der Daten birgt weitere Qualitätsrisiken.
Hier ist einerseits das Äpfel- und Bir-
nenproblem zu nennen sowie anderer-
seits das Risiko, mehrere, voneinander
abhängige Daten zu einem Phänomen
zu erheben und so zu analysieren, als
wären sie unabhängig voneinander. Jede
Analyse sollte theoretisch plausibel sein.
Schließlich müssen die Daten für aussa-
gekräftige Schlüsse repräsentativ für das
interessierende Phänomen sein und in
ausreichender Menge vorliegen.
Der vierte, nicht zu vernachlässigende
Erfolgsfaktor: qualifiziertes Personal. Der
entscheidende Erfolgsfaktor für die Ein-
führung von People Analytics ist die Qua-
lifikation der dafür Verantwortlichen. Die
Gestaltung von People Analytics erfordert
Kompetenzen sowohl in Informationstech-
nologie als auch im Personalwesen und in
der Eignungsdiagnostik. Aktuell wird das
Feld von Personen dominiert, die aus der
Informationstechnologie kommen, wäh-
rend genuine Personaler und Eignungsdi-
agnostiker sich auf die Rolle der Kritiker
beschränken. Es ist zu befürchten, dass
es denjenigen, die dringend gebraucht
werden, wieder einmal in erster Linie da-
rum geht, ihre Hände in Unschuld zu wa-
schen, statt selbst anzupacken und dafür
zu sorgen, dass die Modernisierung der
Personalarbeit und Eignungsdiagnostik
ein qualitativer Erfolg wird. Was es im
Bereich People Analytics bedarf, sind so-
wohl technisch geprägte Statistiker (Data
Scientists), als auch methodenaffine Per-
sonaler und Eignungsdiagnostiker – mit
anderen Worten interdisziplinäre Teams.
Großes Potenzial von People Analytics
Die Digitalisierung kommt mit großen
Schritten voran. Als mittelalterliche
Handwerksbetriebe haben die Personal-
arbeit im Allgemeinen und die Eignungs-
diagnostik im Besonderen inmitten einer
hochtechnologisierten Gesellschaft kei-
ne Zukunft. Das innewohnende Grund-
prinzip einer evidenzbasierten Vorge-
hensweise lässt sich mit integrierten
People-Analytics-Lösungen besser ver-
wirklichen als je zuvor. People Analytics
hat das Potenzial, bewährte Traditionen
in die Moderne zu überführen.
Wie jede Methode bietet auch dieser
neue Ansatz sowohl Chancen als auch
Risiken. Zweifelsohne finden hier auch
Quacksalber ein lukratives Spielfeld und
Unverantwortlichen eröffnet sich die
Option zum Datenmissbrauch. Mit dem
berechtigten Hinweis auf diesen poten-
ziellen Missbrauch sollte man aber nicht
die Chance vertun, die Vorzüge des An-
satzes wissenschaftlich sauber heraus-
zuarbeiten und praktisch im Interesse
der Organisationen und jedes einzelnen
Bewerbers und Mitarbeiters zu nutzen.
Dies muss selbstverständlich im Rah-
men der gesetzlichen Möglichkeiten
geschehen und ethischen Prinzipien
entsprechen. Damit People Analytics
zum Vorteil von Organisationen und
Menschen genutzt werden kann, bedarf
es einer konstruktiven Zusammenarbeit
von Personalern und Eignungsdiagnos-
tikern einerseits und analytisch sowie
technisch geprägten Praktikern anderer-
seits sowie eines ergebnisoffenen gesell-
schaftlichen Diskurses darüber, wie wir
mit personenbezogenen Daten umgehen
wollen.
Eine weitergehende Analyse zum Status
quo und zu den Perspektiven von
People Analytics bietet dieser Artikel:
Rasmussen, T., & Ulrich, D. (2015). Lear-
ning from practice: how HR analytics
avoids being a management fad. Orga-
nizational Dynamics, 44(3), 236-242.
LITERATURTIPP
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